HörBar oder Alphatrinker trinken lauter

„Ich trinke Wein und keiner kriegt’s mit – für Statusmenschen von heute offenbar ein unerträglicher Gedanke. Also drehen sie so richtig auf. Am liebsten im voll besetzten Restaurant.

Das nächste Mal, wenn ich im Lokal ein Steak bestelle, werde ich es nicht einfach essen. Ich plane, ein kleines Stück abzuschneiden, es mit ausladender Geste unter die Nase zu führen, mit geschlossenen Augen daran zu schnuppern (ich hoffe, meine Nüstern beben dabei) und etwas zu sagen wie: „Mmm, sehr intensive Pampagrasnote. Wilde Disteln. Etwas Bullenschweiss auch.“ Dann kaue ich es ein, zwei Minuten mit hochkonzentriertem Blick (den kann man vor dem Spiegel üben) auf dem Fleisch herum, murmele „wunderbare Muskelfasern“ und entlasse schliesslich den wartenden Kellner mit einem Kopfnicken und einem knappen, Kompetenz signalisierenden „Sehr gut“.

Wie, das finden Sie komisch? Macht man beim Wein doch auch. Schauen Sie sich heutzutage mal im Restaurant um: Da kann ja kaum noch jemand ein Gläschen Roten trinken, ohne erst eine minutenlange One-Man-Show hinzulegen. Da wird mit den Armen gekurbelt, die Lippen gespitzt, es wird lautstark Luft eingesogen und Gesichtsgymnastik betrieben, als hätte der Arzt es verschrieben. Muss das wirklich sein?“ fragte Britta Wiegelmann in meinem Lieblings-Wein-Magazin Vinum.

Nein , muss es nicht:
Kein Wein braucht soviel Sauerstoff.
Kein Mensch braucht solche Showeinlagen von Alphatrinkern, die ihre Kompetenz mit Impertinenz in die Welt hinausposaunen.-
HörBare Egomanie mit Peinlichkeitsfaktor. Wo bleiben da die Manieren?

Worte und Winke zum guten Ton – HörBar

Der Gute Ton

Über eine unpassende Tonspur beim Essen und Trinken haben sich bereits
im letzten Jahrhundert typisch deutsche Benimmbücher mokiert, die sich dem „guten Ton“ verpflichtet fühlten. Ich zitiere aus dem Kapitel „Geräusche“:

Diese Geräusche … variieren vom Klappern und Kratzen mit Geschirr und Besteck über Schlürfen und Schmatzen bis zum abstoßenden „Durch-die-Zähne-Ziehen“ und Schlimmerem – ein Sammelsurium von unappetitlichen Ungehörigkeiten, die empfindlichen Menschen alle Tafelfreuden verderben können. … Kauen und Schlucken schließlich sind Dinge, die der wohlerzogene Mensch völlig geräuschlos erledigt. …
Nein, so isst man nicht! Alles Schmatzen und Schlürfen ist restlos verpönt. Man kaut möglichst mit geschlossenem Mund …

Alles klar, Ladies und Gentlemen?
Kosten sie ihren Wein bitte ohne selbstgemachten Soundtrack.

Das findet auch die Vinum-Autorin Britta Wiegelmann und schreibt:
„Das Lufteinziehen: Erinnern Sie sich noch an den Teetester bei „Wetten, dass…“? Was musste der an Spott einstecken für seine Degustationsgeräusche! Warum ist das bei Wein plötzlich akzeptabel? Ich habe ein Jahr lang an einer önologischen Fakultät studiert und in all dieser Zeit nie einen Professor bei der Verkostung schmatzen hören. Okay, spucken konnten die super, und ich verdächtige den ein oder anderen einer gewissen Eitelkeit angesichts seines perfekten Strahls (nicht nur die Männer). Aber selbst das ging lautlos über die Bühne.
Das Gegurgel mit dem Wein im Mund: Klar schmeckt man mehr, wenn man einen Schluck langsam über die Zunge rollen lässt, statt ihn einfach runterzustürzen. Die viguröse Mundspülung spart man sich aber besser fürs abendliche Zähneputzen. Und die laut verbalisierten Degustationsnotizen? Ganz ehrlich, ich finde das peinlich. Ich gebe ja auch keine Tonspur zu meinem Salat ab. Nichts gegen einen normalen Austausch („Wie schmeckt deine Vorspeise?“ „Toll, die Spargel sind noch ganz knackig. Und wie ist der Wein?“), aber ein Monolog ist schlicht unhöflich.“ – und wider den guten Ton.

Sich als Gast wie ein Gast zu benehmen, ist nicht jedem gegeben.
Ich erinnere mich da an einem Beitrag von Helmut Adam im Mixology Blog.
Ein paar Gedanken dieses Textes wollen wir aufgreifen unter dem Titel:
HörBar oder Connaisseure trinken lauter

Alchemyst

Alchemyst, geboren in den fünfziger Jahren, studierte Philosophie, Theologie und Pharmazie. Heute leitet er eine öffentliche Apotheke in Norddeutschland. Alchemyst ist nicht selten in Champagnerlaune.

Marmelade

5 Kommentare

  1. Sehr schön geschriebener Beitrag 🙂

  2. Harry

    Guten Tag zusammen!
    Ich habe diese Seite heute entdeckt und bin begeistert.
    Alchemyst schreibt mir, mit seinem Beitrag „HörBar…“ aus der Seele.
    Ich bin gespannt, was ich sonst noch interessantes entdecke.
    LG
    Harry

  3. Ich hab zwar schon was geschrieben, aber folgendes passt einfach zu 100%
    Stermann und Grissemann – Weinprobe

  4. Alchemyst

    @Harry: Danke für deine positive Rückmeldung.
    Wir freuen uns.

    @Michael: Merci.
    Das Video passt wirklich perfekt.
    Ich hab‘ richtig gelacht….

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