Trinklaune im Avenger-Land III – Steedophilia oder ein Gentleman ist kein Snob

 Cheers

Cheers

Es sind die feinen Unterschiede, die das Leben in die eine oder andere Richtung dirigieren, die Grenze zwischen Banalität und Exklusivität ziehen und Lebensart und Stil definieren. Die Beschleunigung des Lebens, die von einem permanenten gesellschaftlichen Wandel angetrieben wird, der traditionelle Werte aus einer falsch verstandenen Befreiung von Konventionen aufgibt und vorübergehende Moden an die Stelle setzt, die sich als Klammer eines Systems verstand, das Unterschiede akzeptierte, hätte fast auch eine Spezies auf dem Altar der profanen Gleichmacherei geopfert. Diese hat ihr Dasein der Idee verschrieben, dass feine Manieren, vornehme Haltung und vor allem ein guter Geschmack nicht dem Naturzustand des Menschen entsprechen.

Ingo Swoboda, freier Journalist für „Der Feinschmecker“ und „WeinGourmet“ in seinem empfehlenswerten Buch „Champagner“, Fackelträger Verlag.

Die Spezies von der hier die Rede ist, ist der Gentleman, wie ihn die TV-Figur John Steed in der britischen TV Serie „Mit Schirm, Charme und Melone“ (The Avengers) so formvollendet vom Scheitel bis zur maßgeschneiderten Sohle darstellt.

„Warum Champagner?“
haben wir hier schon des öfteren gefragt und Torben hat diese Frage auf das Feinste beantwortet.
Die Gründe warum sich jemand Champagner kauft oder bestellt können sich sehr unterschiedlich darstellen, aber man kann an zwei Archetypen, zwei Grundtypen deutlich machen, dass es zwei Grundhaltungen gibt aus denen man eine Neigung zum Champagner entwickelt.
Die beiden Grundtypen sind der Snob und der Gentleman.

Ein Unterschied: Der Preis und der Wert
Ein Snob ist nach unserer Defintion ein Wichtigtuer. Er bestellt Champagner, weil es ein Edelgetränk ist. – Er ist ein Angeber.
Ein Snob trinkt dabei gerne große Namen und wählt typischerweise Dom Perignon, Roederer Cristal oder Moet & Chandons „Swarovski Eddition“, Prestige-Cuvées also, die zwar gut, aber auch überteuert daherkommen. Der Snob zeigt damit: Ich kann es mir leisten, ich trinke nur das Beste – dabei trinkt er nur das Teuerste…
Einem steedophilen Gentleman-Trinker aber geht es nicht um den Preis, sondern um den Wert des Getränkes. Wenn er Schaumweine liebt, wird er zum Champagner greifen, weil er den Inhalt schätzt, nicht den Preis und das Label.

Der feine Unterschied: Haltung oder Attitüde
Ein Gentleman definiert sich durch seine Geisteshaltung den Mitmenschen, aber auch Dingen gegenüber und durch sein Handeln. Er hat in der Regel feste Einstellungen, die wir als Charakter wahrnehmen. Eine Party bei einem Gentleman wird von einer gewissen Exzellenz geprägt sein, die sein Abziehbild der Snob nie kennen wird.
Was beim Gentleman Haltung und Charakter ist, ist beim Snob bloße Attitüde und Gebaren. – Der Snob ist ein Poser.
Ein schönes Zitat, um sich dem Thema zu nähern, fand sich in der Stuttgarter Zeitung
in der sich der Ballettkünstler Eric Gauthier zum Unterschied zwischen München und Stuttgart äusserte: „Stuttgart ist unverstellt, ganz anders als beispielsweise München. München ist eine tolle Stadt, aber Du begegnest dort viel mehr Menschen, die nur ihre Fassade zeigen. In Stuttgart hast Du Porsche und Bosch, hier wird gearbeitet, und es geht bodenständig und nicht versnobt zu.“

Der ganz feine Unterschied: Zelebrieren oder Inszenieren
Der Gentleman gestaltet seine Welt, während der Snob die seine nur designt.
Der Gentleman wird dem Verkosten des Champagners Würde verleihen und wird es zelebrieren. – Sein Umtrunk ist eine Feier.
Der Snob dagegegen, der mit der Verkostung Absichten verfolgt, wird sie in Szene setzen und inszenieren. – Er veranstaltet ein Event.

Cheers!

Cheers!

Der unbekannte Unterschied: Heartcore oder Hardcore
Dem Snob entgeht auch die feine Erotik des Champagnertrinkens, die der Gentlemantrinker so sehr liebt.
Der Gentleman mag die feine Haptik der bauchigen Champagnerflasche und wird
(und auch das kann von Steed lernen) mit Bedacht den Keuschheitsgürtel aus Draht entfernen und den Kork mit leichten Drehungen und einen leisem Plopp befreien, immer darauf achtend, nichts vom kostbaren Edelschäumer zu verkleckern. Der Steedophile wird sich sodann dem Glas und dem leisen Säuseln der zerplatzenden Bläschen zuwenden, die ihm zuflüstern:
„Halt inne. Genieße den Augenblick. Gib‘ dich diesem Moment hin.“
Er wird sich dem betörenden Duft widmen, an dem er die Zartheit des Champagners erkennt. Ein Duft, der ihn an die Zärtlichkeit und den Wohlgeruch einer Frau erinnert und der sein Herz erfreut….
Der Snob dagegen kommt gleich zur Sache, er mag den schnellen, grellen, groben Sex. Sein Kork schwirrt, einer Sojuskapsel gleich, durch die Luft, er liebt es wenn der Schäumer spritzend aus der Flasche quillt und unter lautem Gejohle der Anwesenden seinen Weg ins Glas findet um bald danach die Kehle runterzurinnen . – Der Snob braucht kein Vorspiel.

Die oben beschriebenen Gegenüberstellungen sind nur kleine Merkmale zur Unterscheidung. Zudem gibt es den Snob und auch den Gentleman selten in Reinform, wohl aber viele Mischungen der beiden.
Um heutzutage zu trinken wie John Steed, muss man keine Melone tragen, einen Sportwagen fahren oder Mitglied in einem noblen Herrenclub sein. Der Gentleman muss auch nicht piekfein gekleidet sein. Dies ist ein weitverbreiteter Irrtum.
Der Gentleman ist kein Dandy, kein eitler Geck. Er verachtet das Gezierte und Gestelzte.

Achtung und Respekt
Die Schlüsselwörter, um einen Gentlemann zu erkennen, lauten:
Achtung und Respekt.
Sich selber, den Mitmenschung und auch Dingen gegenüber.
Aus diesem Grund ist der Gentleman „gentle“, deshalb zeigt er vollendete Umgangsformen. Deshalb wahrt er stets die Form… – Deshalb ist es gut, steedophil zu sein.
Wie schon erwähnt, zeigt sich der Gentleman in seiner Haltung: Er zeichnet sich durch seine britische Eleganz und eine heitere Gelassenheit aus, die man auch Contenance nennt. Der Gentleman genügt sich selbst. Er ruht in sich und seinen Prinzipien in grosser Gelassenkheit. (und weiss doch, dass Achtung und Respekt nur die Vorstufe der Liebe sind, die in ihrer Reinform dem Göttlichem vorbehalten ist) .

Für den Snob ist eine Champagnerflasche Mittel zum Zweck. Er benutzt diesen noblen Wein. Er banalisiert den Champagner und zieht ihn auf seinen Snoblevel herunter.

Aaaaah, Bollinger Maison Speçial Cuvée Brut

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Die Reduzierung des Genusses auf seine Selbstverständlichkeit
Der Gentleman dagegen adelt mit Champagner seinen Alltag, weshalb es auch kein Fauxpas ist, wenn Steed beim Reparieren seines Autos Champagner trinkt.
Die „Reduzierung des Genusses auf seine Selbstverständlichkeit“, wie Ingo Swoboda ganz richtig analysiert.
Champagner sei ein „stilbildendes Wesenselement des Gentlemans“. In der Welt eines Gentleman sei er unersetzbar. „Champagner zu trinken und Gentleman zu sein, ist kein unausweichliches Duett, auch kein dünkelhaftes Duell, sondern ein Privileg, das sich aus der Suche nach Genuss ergibt und somit jedem offen steht.“

“ Champagner! – Ein beliebtes, alt bewährtes Belebungsmittel. Ich empfehle es meinen Freunden immer wärmstens – gut gekühlt.“
John Wickham Gascoyne Beresford Steed

Alchemyst

Alchemyst, geboren in den fünfziger Jahren, studierte Philosophie, Theologie und Pharmazie. Heute leitet er eine öffentliche Apotheke in Norddeutschland. Alchemyst ist nicht selten in Champagnerlaune.

7 Kommentare

  1. Dies ist einer der besten Beiträge, die ich auf Trinklaune bisher lesen durfte. Vielen Dank, Alchemyst!

  2. Und was für eine Reihe das wieder ist.

    Geschrieben, wie von Meisterhand, voller Wortwitz, Informationen und Leidenschaft.
    Beschreibungen und Ausführungen, die nur ein leidenschaftlicher Mensch zu Blatte bringt.

    Ein Hoch auf Alchemyst.
    Einen wahren Meister des Wortes (und des Genuss).

    Grüße
    Jonas

  3. Alchemyst

    Ihr seid sehr freundlich…

    Ich werde wohl in der Zukunft einen weiteren Abstecher ins Avengerland machen.
    Die trinken da Creme de Violette…

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