WeinZeit: Kellerleichen

Wer kennt das nicht? In irgendwelchen Ecken des eigenen Weinkellers bzw. im Haus der Eltern liegen alte, verstaubte Weinflaschen die man vor zig Jahren geschenkt bekommen hat und deren Lagerbedingungen fraglicher sind als gefüllte Oliven im Martini. Das es sich bei diesen vergessenen Kindern seltenst um große lagerfähige Rot- oder Süßweine handelt, muss wohl nicht extra erwähnt werden. Im Rahmen eines Kicker-Turniers, zu dem Thomas Sommer geladen hatte, nutzen wir daher die Gelegenheit, unsere „Kellerleichen“ auf Herz, Nieren und Trinkbarkeit zu prüfen. Wir beschränkten unsere Auswahl dabei auf Weißweine der Jahre 1967 – 1992, wobei die Hoffnung auf Genuss exponentiell mit dem Alter der Weine abnahm. Soviel vorweg: Es wurde viel gelacht, gespuckt aber auch manche Miene der Verwunderung aufgesetzt.

Die erste Hürde bestand darin, die Korken möglichst in einem Stück, aus den Flaschen zu bekommen. Während dies bei den ersten Weinen noch ohne größere Mühen gelang, kann man den Zustand der älteren Korken nur als kritisch beschreiben. Ab Jahrgang 1975 waren nahezu alle durchnässt und bröselig. Da es sich bei den verkosteten Weinen jedoch nicht um hochpreisige Lagerweine handelte, wurde der Wein damals verständlicherweise auch nicht mit den Top-Qualitätskorken verschlossen. Alter und Lagerbedingungen gaben den Korken dann den Rest.

Den Aufktakt der Verkostung bildete ein Riesling Qualitätswein aus dem Rheingau:

1992er – Geheimrat J. Wegeler Erben – Rüdesheimer Berg Schlossberg

Der Wein stammt aus der besonders priviligierten Lage „Rüdesheim Berg Schlossberg“, wo die Rebstöcke durch den Taunuskamm windgeschützt sind und die Schieferböden sowie Weinbergmauern nachts die über den Tag gespeicherte Wärme abstrahlen. Die Weine aus dieser Lage haben opulente Fruchtaromen und eine mineralische Struktur, hinzu kommt ein würziges Rückgrat.

Der Wein präsentierte sich in einem hellen Gold mit sehr schönen, reifen Tönen von Speckpflaumen und Walnüssen. Die Säure war noch sehr präsent und auch wenn der Wein seinen Zenit schon etwas überschritten hatte, war es dennoch ein schönes Trinkerlebnis – gerade für Fans gereifter Weißweine.

1989er – Schloss Reinhartshausen – Erbacher Siegelsberg – Riesling Spätlese

Ebenfalls aus dem Rheingau stammte der nächste Wein. „Schloss Reinhartshausen“ ist das größte privat geführte Weingut des Rheingaus und bestockt zur Zeit sechs Lagen. Die Weine der Lage „Erbacher Siegelsberg“ gelten dabei als besonders lagerfähig. Dies sollte sich bei unserem Tasting auch bewahrheiten. Der Wein präsentierte sich in einem schön satten Gold mit leichten Kupferreflexen. In der Nase zeigte er Aromen von nasser Hefe, reifen Aprikosen und Pflaumen. Gepaart mit einer eleganten Süße umspielten diese Fruchtaromen auch den Gaumen. Der Abgang war etwas kurz und raubte dem Wein dadurch leider an Opulenz. Nichtsdestrotrotz ein Wein der Spaß gemacht hat und den man noch sehr gut zu einem fruchtig-schweren Dessert wie einer Tarte Tatin geniessen kann.

1983er – Peter Graeber – Edenkobener Schloß Ludwigshöhe – Ruländer Auslese

Wein Nr.3 stammt laut Etikett noch aus dem Anbaugebiet „Rheinpfalz“.  Dieser Begriff ist jedoch veraltet und so lautet der Name für dieses Anbaugebiet seit August 1993, der Benennung der Region folgend, ebenfalls „Pfalz“.  Genauso veraltet ist  die Bezeichnung der Rebsorte  – „Ruländer“ ist jedoch nichts anderes als Grauburgunder. Farblich zeigte sich der Wein in einem dunklen Gold mit leichten Brauntönen. Er roch nach Karamell, reifem Boskopp-Apfel und Bratapfel. Am Gaumen präsentierte er sich sehr dick und leicht korkig. Thomas Sommer klärte jedoch auf, dass dies kein Kork sondern Noten von Kellerreife waren. Im relativ langen Abgang zeigte sich deutlich karamelliserter Apfel. Fazit: Die Reifetöne des Grauburgunders wirkten schwerer, klebriger als die der Rieslinge. Dadurch ein spannendes Trinkerlebnis, der Wein sollte jedoch möglichst bald ausgetrunken werden.

1978er – Heinrich Wintrich jr. – Leiwener Klostergarten – Riesling  Halbtrocken

Die erste richtige Kellerleiche, stellte dieser Moselwein dar. Auch hier irrt das Etikett, denn das Weinbaugebiet Mosel-Saar-Ruwer, wurde 2006 umbenannt in Mosel. Der Wein überraschte uns durch seine jugendliche Farbe. Er zeigte sich strohgelb mit grünen Reflexen. Die Nase lies jedoch schon nichts gutes ahnen. Intensive Noten von Urinstein, Mottenkugeln und altem Humus raubten einem jeglichen Ambition diesen Wein auch tatsächlich in den Mund zu nehmen. Ein gewagter Selbstversuch wurde schnell abgebrochen und unterstrich den Gesamteindruck deutlich. Fazit: Bitte schnell in den Ausguss und auch nicht an die Oma verschenken.

1975er – Hieronimi – Piesporter Michelsberg – Auslese

Ebenfalls von der Mosel stammt Wein Nr. 5. Die Weinkellerei Hieronimi wurde im Jahre 1843 gegründet, während der 1970er und 1980er Jahre wurde ein breitgefächertes Sortiment von Moselweinen, Rheinweinen, Sekt, Perlwein und trinkfertigen Bowlen im In- und Ausland vertrieben. Mittlerweile hat sich die Kellerei aus dem Großhandel zurückgezogen und konzentriert sich seitdem auf ein individuelles Sortiment von Mosel-Wein-Spezialitäten.

Der Wein, ohne Rebsortenangabe, hatte eine klare Goldfarbe. Mehr als strengen Kork, Muff und Abfallgeruch hatte er jedoch nicht zu bieten. Fazit: Absolut hinüber

1973er – H. Schmitt Söhne – Wiltinger Scharzberg – Spätlese

Leider ebenfalls ohne Angabe der Rebsorte kam Wein Nr. 6 sherry-farben mit leichter Trübung ins Glas. Die an der Mosel gelegene Weinkellerei ist heutzutage der größte Importeur deutscher Rieslinge in den USA und vertreibt eigene Weine teilweise exklusiv nur auf dem US-Markt. Die Rieslinge der Kellerei werden dort größtenteils in poppig-blauen Flaschen verkauft. Ihr „Little German“ genanntes Maskottchen hat in den USA sogar einen eigenen Fan-Club…. Wir haben uns jedoch nach den medizinisch, fauligen Noten, die der Wein unserer Nase zumutete, entschlossen ihn nicht zu trinken und auch keinen Fan-Club zu gründen. Bloß schnell weg damit!

1971er – Walter Seidel – Alsheimer Rheinblick – Müller-Thurgau + Silvaner Spätlese

Diese Cuvée aus Müller-Thurgau und Silvaner stammt aus Rheinhessen. Farblich war der Wein sehr klar und zeigte sich in einem schönen Bronzeton, auch die überbordende Sherry-Nase machte zuerst Hoffnung. Allerdings zeigte eine Geschmacksprobe schnell, dass sich der Wein höchstens noch zum Einlegen von Rheinischem Sauerbraten eignet. Leider konnte ich zur „Weingroßkellerei Walter Seidel“ keine weiteren Infos finden, so dass ich davon ausgehen, dass diese in der Zwischenzeit geschlossen wurde. Die „neueste“ Flasche die ich bei Ebay entdeckte, stammt aus dem Jahr 1979. Fazit: Lieber bei Ebay verkaufen, da gibt es wenigstens noch 10 Euro dafür!

1971er  – Heinrich Jung – Binger St. Kochuskapelle – Auslese

Nochmal 1971 und nochmal Rheinhessen allerdings diesmal eine Prädikatsstufe höher. Rebsortenangabe = Fehlanzeige. Nachdem unsere Geschmacksnerven durch die letzten Weine schon arg strapaziert waren, musste man sich ernsthaft fragen ob es sich lohnt diesen Wein zu probieren. Spätestens beim vinieren der Gläser, wo sich der Wein in einem tollen dunklen Sherryton zeigte, machte er jedoch Lust die Nase einmal hinein zu stecken. Überraschend  zeigten sich starke Noten von Zuckerrübensirup, welche ich als sehr angenehm empfand. Beim Probierschluck pappte er den Gaumen mit Sirup und braunen Kandisaromen zu und erwies sich als durchaus trinkbar, auch wenn er seine guten Jahre natürlich schon hinter sich hat. Fazit: Für mich der spannendste Wein der Probe, da er die Reihe der toten Weine durchbrach und zeigte, dass selbst 39 Jahre alte Auslesen noch trinkbar sind.

1967er – Tokaji – Szamorodni Szaraz

Der älteste Wein der Probe war gleichzeitig auch der Einzige, der nicht aus Deutschland stammte. Die berühmten Tokajer-Weine stammen aus dem 87 Kilometer langen und drei bis vier Kilometer breiten Tokajer Weingebiet zwischen den Flüssen Theiß und Bodrog in Ungarn. Während man Tokajer normalerweise nur als Dessertwein in den Qualitäten Aszú (3-6 Puttonyos) und Esszencia kennt, kann es durchaus vorkommen, dass die Qualität der Aszú-Trauben nicht ausreicht, um daraus Aszú-Wein herzustellen. Ist dies der Fall werden gesunde und mit Botrytis befallene Aszú-Trauben zusammen verarbeitet. Das Ergebnis ist dann ein „Szamorodni-Tokajer“ Dieser kann sowohl trocken als auch süß im Geschmack ausfallen, wobei es als deutlich anspruchsvoller gilt, einen qualitativ hochwertigen trockenen Szamorodni herzustellen. In unserem Fall handelte es sich um einen trockenen Szamorodni. Leider hatte der Wein bis auf seine schöne Farbe von gereiftem Tokajer, nicht mehr viel mit Genuss zu tun. Auch hier blieb leider nur der Abfluss…

Mein Fazit: Auch wenn man durchaus noch Überraschungen erleben kann, sind die meisten Kellerleiche wirkliche Leichen. Allerdings machen gerade diese Überraschungen wie etwa der 1971er  – Heinrich Jung – Binger St. Kochuskapelle – Auslese eine Kellerleichen-Probe spannend. Es sei jedoch deutlich gesagt, dass auch solche Ausnahmen immer mehr an Qualität verlieren! Von daher mein Appell an euch: Sammelt alte Flaschen im eigenen Keller, bei Oma, Onkel, Tante und sonstiger Verwandschaft, dann trefft euch mit ein paar Freunden und köpft die Flaschen. Vielleicht habt ihr auch Glück und findet den ein oder anderen Untoten?! Auf jeden Fall lernt ihr viele neue Geschmacks- und Aromenmuster kennen und die gehören ja schließlich in jeder Form zur Welt des Genuss! Und habt ihr nach der Probe erstmal keine Lust auf Wein, machts wie wir und schnappt euch ein gutes, kühles Bier! Cheers!

Robin Stein (†)

Robin Stein, Jahrgang 1987, war studierter Lebensmitteltechnologe und der Jüngste im Team. Sein Weg führte ihm nach dem Abitur 2006 über ein viermonatiges Praktikum in Pusser's New York Bar in München nach Bergisch-Gladbach, wo er eine Ausbildung als Hotelfachmann im Schlosshotel Lerbach absolvierte. Seine persönlichen Honigfallen waren Champagner, Obstbrände, Wein und Whisk(e)y.

1 Kommentar

Einen Kommentar schreiben

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

WeinZeit: Kellerleichen

Wer kennt das nicht? In irgendwelchen Ecken des eigenen Weinkellers bzw. im Haus der Eltern liegen alte, verstaubte Weinflaschen die man vor zig Jahren geschenkt bekommen hat und deren Lagerbedingungen fraglicher sind als gefüllte Oliven im Martini. Das es sich bei diesen vergessenen Kindern seltenst um große lagerfähige Rot- oder Süßweine handelt, muss wohl nicht extra erwähnt werden. Im Rahmen eines Kicker-Turniers, zu dem Thomas Sommer geladen hatte, nutzen wir daher die Gelegenheit, unsere „Kellerleichen“ auf Herz, Nieren und Trinkbarkeit zu prüfen. Wir beschränkten unsere Auswahl dabei auf Weißweine der Jahre 1967 – 1992, wobei die Hoffnung auf Genuss exponentiell mit dem Alter der Weine abnahm. Soviel vorweg: Es wurde viel gelacht, gespuckt aber auch manche Miene der Verwunderung aufgesetzt.

Die erste Hürde bestand darin, die Korken möglichst in einem Stück, aus den Flaschen zu bekommen. Während dies bei den ersten Weinen noch ohne größere Mühen gelang, kann man den Zustand der älteren Korken nur als kritisch beschreiben. Ab Jahrgang 1975 waren nahezu alle durchnässt und bröselig. Da es sich bei den verkosteten Weinen jedoch nicht um hochpreisige Lagerweine handelte, wurde der Wein damals verständlicherweise auch nicht mit den Top-Qualitätskorken verschlossen. Alter und Lagerbedingungen gaben den Korken dann den Rest.

Den Aufktakt der Verkostung bildete ein Riesling Qualitätswein aus dem Rheingau:

1992er – Geheimrat J. Wegeler Erben – Rüdesheimer Berg Schlossberg

Der Wein stammt aus der besonders priviligierten Lage „Rüdesheim Berg Schlossberg“, wo die Rebstöcke durch den Taunuskamm windgeschützt sind und die Schieferböden sowie Weinbergmauern nachts die über den Tag gespeicherte Wärme abstrahlen. Die Weine aus dieser Lage haben opulente Fruchtaromen und eine mineralische Struktur, hinzu kommt ein würziges Rückgrat.

Der Wein präsentierte sich in einem hellen Gold mit sehr schönen, reifen Tönen von Speckpflaumen und Walnüssen. Die Säure war noch sehr präsent und auch wenn der Wein seinen Zenit schon etwas überschritten hatte, war es dennoch ein schönes Trinkerlebnis – gerade für Fans gereifter Weißweine.

1989er – Schloss Reinhartshausen – Erbacher Siegelsberg – Riesling Spätlese

Ebenfalls aus dem Rheingau stammte der nächste Wein. „Schloss Reinhartshausen“ ist das größte privat geführte Weingut des Rheingaus und bestockt zur Zeit sechs Lagen. Die Weine der Lage „Erbacher Siegelsberg“ gelten dabei als besonders lagerfähig. Dies sollte sich bei unserem Tasting auch bewahrheiten. Der Wein präsentierte sich in einem schön satten Gold mit leichten Kupferreflexen. In der Nase zeigte er Aromen von nasser Hefe, reifen Aprikosen und Pflaumen. Gepaart mit einer eleganten Süße umspielten diese Fruchtaromen auch den Gaumen. Der Abgang war etwas kurz und raubte dem Wein dadurch leider an Opulenz. Nichtsdestrotrotz ein Wein der Spaß gemacht hat und den man noch sehr gut zu einem fruchtig-schweren Dessert wie einer Tarte Tatin geniessen kann.

1983er – Peter Graeber – Edenkobener Schloß Ludwigshöhe – Ruländer Auslese

Wein Nr.3 stammt laut Etikett noch aus dem Anbaugebiet „Rheinpfalz“.  Dieser Begriff ist jedoch veraltet und so lautet der Name für dieses Anbaugebiet seit August 1993, der Benennung der Region folgend, ebenfalls „Pfalz“.  Genauso veraltet ist  die Bezeichnung der Rebsorte  – „Ruländer“ ist jedoch nichts anderes als Grauburgunder. Farblich zeigte sich der Wein in einem dunklen Gold mit leichten Brauntönen. Er roch nach Karamell, reifem Boskopp-Apfel und Bratapfel. Am Gaumen präsentierte er sich sehr dick und leicht korkig. Thomas Sommer klärte jedoch auf, dass dies kein Kork sondern Noten von Kellerreife waren. Im relativ langen Abgang zeigte sich deutlich karamelliserter Apfel. Fazit: Die Reifetöne des Grauburgunders wirkten schwerer, klebriger als die der Rieslinge. Dadurch ein spannendes Trinkerlebnis, der Wein sollte jedoch möglichst bald ausgetrunken werden.

1978er – Heinrich Wintrich jr. – Leiwener Klostergarten – Riesling  Halbtrocken

Die erste richtige Kellerleiche, stellte dieser Moselwein dar. Auch hier irrt das Etikett, denn das Weinbaugebiet Mosel-Saar-Ruwer, wurde 2006 umbenannt in Mosel. Der Wein überraschte uns durch seine jugendliche Farbe. Er zeigte sich strohgelb mit grünen Reflexen. Die Nase lies jedoch schon nichts gutes ahnen. Intensive Noten von Urinstein, Mottenkugeln und altem Humus raubten einem jeglichen Ambition diesen Wein auch tatsächlich in den Mund zu nehmen. Ein gewagter Selbstversuch wurde schnell abgebrochen und unterstrich den Gesamteindruck deutlich. Fazit: Bitte schnell in den Ausguss und auch nicht an die Oma verschenken.

1975er – Hieronimi – Piesporter Michelsberg – Auslese

Ebenfalls von der Mosel stammt Wein Nr. 5. Die Weinkellerei Hieronimi wurde im Jahre 1843 gegründet, während der 1970er und 1980er Jahre wurde ein breitgefächertes Sortiment von Moselweinen, Rheinweinen, Sekt, Perlwein und trinkfertigen Bowlen im In- und Ausland vertrieben. Mittlerweile hat sich die Kellerei aus dem Großhandel zurückgezogen und konzentriert sich seitdem auf ein individuelles Sortiment von Mosel-Wein-Spezialitäten.

Der Wein, ohne Rebsortenangabe, hatte eine klare Goldfarbe. Mehr als strengen Kork, Muff und Abfallgeruch hatte er jedoch nicht zu bieten. Fazit: Absolut hinüber

1973er – H. Schmitt Söhne – Wiltinger Scharzberg – Spätlese

Leider ebenfalls ohne Angabe der Rebsorte kam Wein Nr. 6 sherry-farben mit leichter Trübung ins Glas. Die an der Mosel gelegene Weinkellerei ist heutzutage der größte Importeur deutscher Rieslinge in den USA und vertreibt eigene Weine teilweise exklusiv nur auf dem US-Markt. Die Rieslinge der Kellerei werden dort größtenteils in poppig-blauen Flaschen verkauft. Ihr „Little German“ genanntes Maskottchen hat in den USA sogar einen eigenen Fan-Club…. Wir haben uns jedoch nach den medizinisch, fauligen Noten, die der Wein unserer Nase zumutete, entschlossen ihn nicht zu trinken und auch keinen Fan-Club zu gründen. Bloß schnell weg damit!

1971er – Walter Seidel – Alsheimer Rheinblick – Müller-Thurgau + Silvaner Spätlese

Diese Cuvée aus Müller-Thurgau und Silvaner stammt aus Rheinhessen. Farblich war der Wein sehr klar und zeigte sich in einem schönen Bronzeton, auch die überbordende Sherry-Nase machte zuerst Hoffnung. Allerdings zeigte eine Geschmacksprobe schnell, dass sich der Wein höchstens noch zum Einlegen von Rheinischem Sauerbraten eignet. Leider konnte ich zur „Weingroßkellerei Walter Seidel“ keine weiteren Infos finden, so dass ich davon ausgehen, dass diese in der Zwischenzeit geschlossen wurde. Die „neueste“ Flasche die ich bei Ebay entdeckte, stammt aus dem Jahr 1979. Fazit: Lieber bei Ebay verkaufen, da gibt es wenigstens noch 10 Euro dafür!

1971er  – Heinrich Jung – Binger St. Kochuskapelle – Auslese

Nochmal 1971 und nochmal Rheinhessen allerdings diesmal eine Prädikatsstufe höher. Rebsortenangabe = Fehlanzeige. Nachdem unsere Geschmacksnerven durch die letzten Weine schon arg strapaziert waren, musste man sich ernsthaft fragen ob es sich lohnt diesen Wein zu probieren. Spätestens beim vinieren der Gläser, wo sich der Wein in einem tollen dunklen Sherryton zeigte, machte er jedoch Lust die Nase einmal hinein zu stecken. Überraschend  zeigten sich starke Noten von Zuckerrübensirup, welche ich als sehr angenehm empfand. Beim Probierschluck pappte er den Gaumen mit Sirup und braunen Kandisaromen zu und erwies sich als durchaus trinkbar, auch wenn er seine guten Jahre natürlich schon hinter sich hat. Fazit: Für mich der spannendste Wein der Probe, da er die Reihe der toten Weine durchbrach und zeigte, dass selbst 39 Jahre alte Auslesen noch trinkbar sind.

1967er – Tokaji – Szamorodni Szaraz

Der älteste Wein der Probe war gleichzeitig auch der Einzige, der nicht aus Deutschland stammte. Die berühmten Tokajer-Weine stammen aus dem 87 Kilometer langen und drei bis vier Kilometer breiten Tokajer Weingebiet zwischen den Flüssen Theiß und Bodrog in Ungarn. Während man Tokajer normalerweise nur als Dessertwein in den Qualitäten Aszú (3-6 Puttonyos) und Esszencia kennt, kann es durchaus vorkommen, dass die Qualität der Aszú-Trauben nicht ausreicht, um daraus Aszú-Wein herzustellen. Ist dies der Fall werden gesunde und mit Botrytis befallene Aszú-Trauben zusammen verarbeitet. Das Ergebnis ist dann ein „Szamorodni-Tokajer“ Dieser kann sowohl trocken als auch süß im Geschmack ausfallen, wobei es als deutlich anspruchsvoller gilt, einen qualitativ hochwertigen trockenen Szamorodni herzustellen. In unserem Fall handelte es sich um einen trockenen Szamorodni. Leider hatte der Wein bis auf seine schöne Farbe von gereiftem Tokajer, nicht mehr viel mit Genuss zu tun. Auch hier blieb leider nur der Abfluss…

Mein Fazit: Auch wenn man durchaus noch Überraschungen erleben kann, sind die meisten Kellerleiche wirkliche Leichen. Allerdings machen gerade diese Überraschungen wie etwa der 1971er  – Heinrich Jung – Binger St. Kochuskapelle – Auslese eine Kellerleichen-Probe spannend. Es sei jedoch deutlich gesagt, dass auch solche Ausnahmen immer mehr an Qualität verlieren! Von daher mein Appell an euch: Sammelt alte Flaschen im eigenen Keller, bei Oma, Onkel, Tante und sonstiger Verwandschaft, dann trefft euch mit ein paar Freunden und köpft die Flaschen. Vielleicht habt ihr auch Glück und findet den ein oder anderen Untoten?! Auf jeden Fall lernt ihr viele neue Geschmacks- und Aromenmuster kennen und die gehören ja schließlich in jeder Form zur Welt des Genuss! Und habt ihr nach der Probe erstmal keine Lust auf Wein, machts wie wir und schnappt euch ein gutes, kühles Bier! Cheers!

Robin Stein (†)

Robin Stein, Jahrgang 1987, war studierter Lebensmitteltechnologe und der Jüngste im Team. Sein Weg führte ihm nach dem Abitur 2006 über ein viermonatiges Praktikum in Pusser's New York Bar in München nach Bergisch-Gladbach, wo er eine Ausbildung als Hotelfachmann im Schlosshotel Lerbach absolvierte. Seine persönlichen Honigfallen waren Champagner, Obstbrände, Wein und Whisk(e)y.

1 Kommentar

Einen Kommentar schreiben

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.