Authentischer Absinth oder Worauf es wirklich ankommt…

Man muss kein Grossmeister der Physik sein. Schon die Lebenserfahrung lehrt, dass ein Vakuum selten Bestand hat. –
Die Regelungswut der EU scheint keine Grenzen zu kennen. Auch im Bereich der Spirituosen ist jedes einzelne Destillat genauestens definiert. Seine Zusammensetzung, seine Inhaltsstoffe, seine Herstellung… alles ist fein geregelt

Wie Gonçalo de Sousa Monteiro in seinem Kommentar zu „Absinth nur aus Teilen der Schweiz? oder “Wer hat’s erfunden?” erwähnt, ist die Absinth Legalisierung unter anderem eine Frucht der EU Erweiterung. Doch die EU hat es leider versäumt, diese Spirituose zu beschreiben. Nichts. Das Wort Absinth oder Absinthe taucht in EU Verordnungen meines Wissens nicht auf. Ein völliges Vakuum. Weder in den deutschen „Begriffsbestimmungen für Spirituosen“ noch in den Rechtsvorschriften für Spirituosen in der europäischen Union (VO 1576/89) findet sich eine Definition.

Ein Grund: Die verschiedenen produzierenden EU Mitgliedsländer stellen unter der Bezeichnung Absinth derart unterschiedliche Produkte her, dass eine Vereinheitlichung nicht möglich war… Es gibt schlicht und einfach keine gesetzlichen Mindestanforderungen, keine Konkretisierungen für den Absinth.. Die EU beschränkte sich somit lediglich darauf, Höchstmengen am giftigen Wermut-Inhaltsstoff Thujon festzulegen.

Spiegel-Artikel: Minderwertiger Absinth

Wohl niemand kann also einen Spirituosenher-steller daran hindern, einen aromatisierten Wodka oder einen Kümmelschnaps oder einen hochprozentigen grünlichen Likör, eine verzuckerte Bitterspirituose oder was auch immer, als „Absinth“ auf den Markt zu bringen.. Die einzige Bedingung, die eingehalten werden muss, ist die rechte Thujon–Obergrenze, die für alle eben genannten Produkte kein Problem darstellen sollte.

In der Praxis zeigt sich für den deutschen (europäischen) Absinth Markt folgender Befund: Wenn man zugrunde legt, dass eine Spirituose, die unter der Bezeichnung Absinth im Handel ist, aufgrund ihres historischen Profiles zumindest (geschmackliche) Merkmale des Wermutkrauts und der Anis- und/oder Fenchelfrüchte aufweisen sollte, zeigt sich, dass über 50% der Produkte diesen Ansprüchen nicht genügen.

Tschechische Absinthe verzichten oder reduzieren oft den Aniszusatz zum Teil zugunsten von Pfefferminzaromen. Aber auch der namensgebende Wermut (Artemisia absinthium) wird länderübergreifend ausgespart, so dass man durchaus von bewusster Irreführung der Konsumenten sprechen darf.
Ich behaupte: Ein Absinth ohne Wermutcharakteristik und einer (zumindest leichten) frischen Anis-, Fenchel-Note nebst Louche Effekt verdient seinen Namen nicht.

Da ist es nun angesichts des Begriffchaos nicht verwunderlich, wenn die Brenner aus den schweizerischen Val de Travers meinen, vorpreschen zu können und zu sagen:
„Absinth… WIR wissen was das ist. Den gibt es authentisch nur in unserem Tal.“
Denn faktisch ist dies die Quintessenz des unglaublichen Versuches, sich sich den Begriff Absinthe zu sichern. Authentizität ist aber keine geographische Frage, sondern eine historisch-methodische.
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Der Lebensmittelchemiker Dr. D. Lachenmeier, der sich um die Rehabilitation des Absinth sehr verdient gemacht und immer wieder mit herausragenden wissenschaftlichen Arbeiten zum Themenkreis Thujon und Absinth aufgefallen ist, berichtet von seinen Untersuchungen:

„Zur Authentizitätsprüfung, ob tatsächlich Bestandteile der Wermutpflanze im Absinth enthalten sind, wurden … Strategien entwickelt: die erste besteht darin, den charakteristischen Anteil ätherisches Öl von Wermut zu bestimmen…. Der Wermutinhaltsstoff Thujon …kann heute entgegen einem früheren Vorschlag nicht mehr als alleinige Markersubstanz für die Authentizität von Absinth betrachtet werden, weil Verfahren entwickelt wurden, diese toxische Substanz im Absinth zu vermeiden bzw. den Grenzwert von 35 mg/kg in Bitterspirituosen einzuhalten. Darüber hinaus ist abhängig vom Anbaugebiet auch thujonfreies Wermutkraut erhältlich. …

Von den 70 untersuchten Absinthen wiesen sechs einen Gesamt-Thujongehalt von weniger als 2 mg/L auf, in 35 Produkten war Thujon nicht nachweisbar. Da zusätzlich eine Wermutsensorik fehlte, waren diese Produkte auch aufgrund der Analysenergebnisse der anderen Inhaltsstoffe als „minderwertig“ und „irreführend bezeichnet“ zu beurteilen. …

Die durchgeführten Untersuchungen von Absinth führten zu der Erkenntnis, dass diese Produktgruppe weniger ein Problem des Gesundheitsschutzes als des Schutzes vor Täuschung aufwirft. Sowohl hochwertige Absinthe als auch minderwertige − keineswegs billig verkaufte Produkte − sind erhältlich. Der Verbraucher ist bei seiner Kaufentscheidung vor die schwierige und nicht immer zu lösende Aufgabe gestellt, authentische Produkte zu erkennen.“

Sensorisch sollte zumindest ein kräuteriges Wermutaroma und ein Bittergeschmack feststellbar sein und die typische Trübung (Louche Effekt), die, bedingt durch die Anwesenheit von Anisöle, beim Verdünnen mit Wasser eintritt. Über die Hälfte der untersuchten Produkte genügte nicht diesen Minimalansprüchen.

Dr. Dirk W. Lachenmeier

Dr. Lachenmeier hat sich angesichts fehlender gesetzlicher Bestimmungen Gedanken zu Mindestanforderungen für das Produkt Absinth gemacht:

Mindestanforderungen an Absinth
· Charakteristisches Aroma und Bittergeschmack durch natürliche Extrakte von Wermut (Artemisia absinthium L.)
· Farbe: farblos oder grünlich
· Typische Trübung beim Verdünnen mit Wasser (Louche-Effekt)
· β-Thujon > α-Thujon
Weitere Anforderungen an „hochwertige“ Produkte
· keine künstlichen Farbstoffe (Färbung nur durch Chlorophyll des Wermuts und anderer Kräuter)
· destillative Herstellung
· Mindestalkoholgehalt 45%vol

Nicht ein Mix von ätherischen Ölen oder eine Mazeration des Wermuts führt zu hochwertigen Absinthen, sondern die Destillation der Pflanzenteile. Ein wichtiger Produktionsschritt.
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Immerhin finden sich auch in der Schweiz Anforderungen an das Produkt Absinth:
In der eidgenössischen Lebensmittelverordnung Art. 423a heisst es:

Absinth ist eine Spirituose aus Ethylalkohol landwirtschaftlichen Ursprungs oder aus einem Destillat landwirtschaftlichen Ursprungs, die:

a. mit Wermutkraut (Artemisia absinthium L.) oder dessen Extrakten, in
Verbindung mit anderen Pflanzen oder Pflanzenextrakten wie Anis, Fenchel
und dergleichen, aromatisiert ist;

b. durch Einmaischen und Destillation hergestellt wird;

c. einen bitteren Geschmack hat und nach Anis oder Fenchel riecht; und

d. beim Verdünnen mit Wasser ein trübes Getränk ergibt.

(In Kraft ab 1. März 2005) – Man kann also allen schweizerischen (nicht nur denen aus dem Val de Travers…) Absinthen zumindest bescheinigen, den obigen Mindestanforderungen nach Lachenmeier zu genügen, was aber noch keine geschmackliche Balance oder gar einen Genuss garantiert.
Dazu werden wir uns später noch mal äussern…
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Ein Beispiel für minderwertige Produkte zeigt das untere Bild. Hergestellt wurden diese Produkte eines ausgeklügelten Marketings unter anderen aus einem Mix von Wermutölen, „Essenzen“ und den Farbstoffen Tartrazin und Brillant Blau. – Künstliches unnatürliches Grün, kein Wermutdestillat, untypischer Geschmack: kein authentischer, sauber herausgearbeiteter Absinth. – Darf man dazu Fusel sagen? Aufgrund der fehlenden gesetzlichen Anforderungen wird dies von vielen Herstellern zum Vertrieb von Fehlprodukten ausgenutzt.
Diese Produzenten spielen nur mit dem Mythos Absinth, benutzen ihn, aber sie leben ihn nicht.

Schlecht gemacht, verzuckert, künstlich gefärbt – Kein authentischer Absinth.

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In der lesenswerten Absinth „Bible“ wird gefragt: Woran erkenne ich guten Absinthe?
Die recht saloppen Antworten lauten:

Von außen im wesentlichen leider gar nicht! Aber man kann viele der schlechten Sorten erkennen, so daß man, wenn man einen guten vor sich hat einiges ausschließen kann:

· Absinthe aus dem Supermarkt ist ziemlich sicher Schrott.

· Leuchtend grüne, blau-grüne oder rote Farbe ist fast sicher ein K.O.-Kriterium!

· Als Inhaltsstoffe auf der Flasche sind nur Essenzen, Öle, Farbstoffe, Alkohol und Zucker angegeben – Finger weg!

· Bereits das Wort Infusion, oder Essence allein auf dem Etikett sollte einen abschrecken!

· Nach Alkohol ist der Hauptbestandteil Zucker – übelst!

· Die Brühe riecht stechend, künstlich oder chemisch – dazu muß man wohl nichts weiter sagen.

· Auf dem Etikett wird keine Destillerie erwähnt – dies kommt derzeit nur bei absolut miesestem Abwasser vor.

Wer also beim Kauf eines grünen Flaschengeistes nicht getäuscht werden möchte, tut gut daran, das Etikett zu studieren.

Alchemyst

Alchemyst, geboren in den fünfziger Jahren, studierte Philosophie, Theologie und Pharmazie. Heute leitet er eine öffentliche Apotheke in Norddeutschland. Alchemyst ist nicht selten in Champagnerlaune.

4 Kommentare

  1. Hm, irgendwie bin ich die vergangenen Tage auf den geschmack gekommen 😉 Nach diesem Artikel: Was könnt ihr denn für Absinthe, die man online bestellen kann (wenn es keiner aus dem Supermarkt sein darf) empfehlen?

  2. Alchemyst

    Danke für deine Kommentare und die Anfrage.
    Ich persönlich glaube nicht, dass ein „Supermarktprodukt“ minderwertig sein muss. Aber die Wahrscheinlichkeit ist recht gross.
    Aufgrund deiner Anregung werden wir hier demnächst ein paar grandiose Absinthe vorstellen…
    Vorerst hätten wir hier eine Absinth Empfehlung

  3. Ich beschäftige mich ja bereits seit knapp 10 Jahren beruflich mit dem Thema Absinthe. Ich bin zu folgendem Schluß über die Authentizität von Absinthe gekommen:

    – Absinthe stammt ursprünglich aus dem Französichem Sprachraum. Es heißt also nicht Absinth, sondern Absinthe! Das mag sehr kleinlich klingen, aber bei der korrekten Begrifflichkeit fängt es halt schon an.
    – Absinthe kann eigentlich überall hergestellt werden. Es kommt auf die Kräuter und die Fähigkeit des Brenners und die Apparaturen an.
    – Großer Wermut, Grüner Anis und Fenchel MÜSSEN verwendet werden, fehlt einer dieser drei Hauptbestandteile, ist das Endprodukt ein Kräuterschnaps, aber kein Absinthe!
    – Absinthe muß destilliert werden. Dadurch bleiben die meisten bitteren Anteile des Wermuts im Brennhafen zurück und nur die riechbaren Aromen gehen ins Destillat über.
    – Absinthe darf keine künstlichen Bestandteile enthalten. D.h. keine ätherischen Öle oder Farbstoffe.
    – Absinthe darf nicht vorgezuckert werden. Es sollte dem Konsumenten überlassen werden, ob er seinen Absinthe süssen möchte, oder nicht.
    – Absinthe ist entweder klar, oder mit Kräutern grün eingefärbt. Zerfällt das Chlorophyll, wird aus dem Grünton der sog. Feuille Mort (gelb bis braun). Das hängt davon ab, ob der Hersteller in der Lage ist, die Koloration zu stabilisieren oder nicht.

    Die Schweizer Lebensmittelverordnung trifft des Pudels Kern eigentlich sehr gut. Daher kann man einem Laien eigentlich bedenkenlos zu einem Schweizer Absinthe raten – Qualitätsprodukte sind das eigentlich alle. Natürlich gibt es aber auch da bessere und schlechtere. Ganz grober Unfug ist aber durch die Gesetzgebung ausgeschlossen.

  4. Alchemyst

    Danke für deine versierten Anmerkungen und Ergänzungen Markus.
    Ich stimme dir weitgehend zu.
    Die von dir nochmal mit anderen Worten formulierten Maßgaben, würde ich mir auch für den EU Bereich wünschen, dann hätten wir mehr Qualitätssicherheit und eine Welt mit besseren Absinthen, die ihren Namen zu recht führen.
    Apropos… bei der Schreibweise, da bleibe zumindest ich – da wir deutsch sprechen – dem deutschen Namen Absinth treu.

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