Das Fest und die Bar oder Raus aus dem Alltag

Stagger Lee Bar, Berlin – Eine ganz eigene Welt im Western-Stil des 19. Jahrhunderts

Nachdem wir hier auf Trinklaune eine kleine Reihe zum Thema „Das Fest“ hatten, wurde ich gefragt, warum ich so intensiv auf solch einem absoluten Randthema, solch’ einer speziellen Ausnahmeerscheinung wie dem Fest herumreite. Nun, es gibt da biographische Gründe:

Zum einen habe ich mich während meiner Studienzeit mit so etwas wie der „Festtheorie“ beschäftigt, zum anderen habe ich mir in dieser Zeit ein Zubrot als Partyplaner verdient. Dieses Wort gab es damals im Deutschen noch nicht, aber es hat mir viel Spaß gemacht, für andere Parties und Feste zu organisieren und vorzubereiten.
Ich feiere seit einem Vierteljahrhundert jährlich zwei Parties und kann so auf gewisse Erfahrungen, gelungene und nicht gelungene Feste zurückschauen.
Der eigentliche Grund aber „Das Fest“ in den Mittelpunkt zu stellen, ist meine Überzeugung, dass das Fest als Urform des Ausdrucks menschlicher Entspannung und Lebensfreude auch eine Urform jeglicher Gastronomie darstellt.
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Eine Gastronomie, die vom Fest gelernt hat, das Fest verstanden hat und zu gestalten weiß, ist eine gute Gastronomie.

Das Fest zu rezepieren, bedeutet, sich mit der Rolle des Gastgebers zu beschäftigen, sich in die Rolle des Gastes zu begeben und jenseits der merkantilen Notwendigkeiten, ein gastfreundliches Milieu zu schaffen.
So liegt es nahe, sich jetzt im weiteren mit dem Fest und der Bar zu beschäftigen.
Wir möchten darüber nachdenken, was die Bar vom Fest lernen kann…

Nun gibt es mindestens zwei Einwände gegen dies Unterfangen. Zum einen gibt es nicht DIE Bar, wohl aber die Bar, wie ich sie schätze. Von ihr schreibe ich.
Zum anderen bin ich als Gast nicht in der Position um Professionellen Ratschläge zu geben, aber ich möchte zumindest ein paar Gedanken nachhängen, die mir im Laufe der Jahre bei diversen Barbesuchen kamen.

„Feste und Feiern setzen Pausen im Leben des Menschen, bei denen die fünf Sinne zu ihrem Recht kommen. Auge, Ohr, Geruch, Geschmack, Gefühl werden … durch Musik, … berauschende Getränke, durch Tanz und Ekstase in einen ästhetischen Taumel versetzt. Während der Arbeitstag einen großen Teil der menschlichen Anlagen brachliegen lässt, darf beim Fest der ganze Mensch gegenwärtig sein.
Die sinnliche Präsenz, die ihm gewährt ist, macht das Fest zur Utopie. Das Fest ist heute überall…“

Hannelore Schlaffer, “Das alltägliche Fest” in “Cottas kulinarischer Almanach No.14″

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Tages Arbeit! Abends Gäste! /Saure Wochen! Frohe Feste!

Das Fest als große gemeinsame Auszeit, als kollektiver Ausnahmezustand und als Ausnahme vom Alltag gibt es kaum noch.
Unser Leben ist geprägt vom Taumel durch lauter kleine Seeligkeiten, hier ein Michael Jackson Konzert vom heimischen Bluray-Player, dort ein guter Drink, ein perfekter Cappuccino nebenbei in der Herrenboutique, Plantagenschokolade aus Papua Neuginea zwischendurch, Musik allerorten…, sodass man durchaus von einer Zerstückelung der traditionellen Festkultur sprechen kann oder positiver ausgedrückt von seiner Demokratisierung. Kam in früherer Zeit das (religiöse) Fest periodisch auf einen zu und vereinte Musik, Tanz, Wein Schmaus und Gesang zur gleichen Zeit am gleichen Ort, so sind Festivitäten, kleine Stunden der Freude heute in mannigfaltigen Facetten vielfach verfügbar. Der (sakrale) Ausnahmezustand ist heute profaner Dauerzustand.
Teil der übriggebliebenen dauerverfügbaren „kleinen Seeligkeiten“ ist die Abend- bzw. Nachtgastronomie: das Restaurant, die Diskothek und die Bar.
In der gut geführten Bar kann der Gast erspüren, was das Fest im Kern ausmacht. Man ersetze in den folgenden Texten einfach einmal das Wort Fest durch das Wort Bar und man kann erahnen, was ich meine:

„Das Fest lebt aus dem Kontrast zur Alltagswelt. … Das Fest hebt sich von der Alltagswelt ab und über diese empor als die außer-alltägliche, die höhere Daseinsform. Schon in seinem äußeren Erscheinungsbild hält es zu ihr Distanz, durch den „festlich“ geschmückten Raum … Das Wort „festlich“ steht für kulturelles Niveau, oberhalb der Sphäre des praktisch Nützlichen und der bloßen Funktionalität, in der Sphäre des zweckfrei Schönen. … Der Mensch übersteigt das Reich der Notwendigkeiten und tritt ein in das Reich der Freiheit. Eben deshalb besteht die innere Notwendigkeit zu feiern, damit er seine Freiheit von den äußeren Notwendigkeiten erlebt und zu sich selbst findet. Im Fest triumphiert die Person über das Elend der Umstände. Wer die Last des Alltags trägt, braucht das Fest, um den Alltag auszuhalten… „

Josef Ilensee in „Die Philosophie des Festes“

Ähnlich äussert sich Eva Gesine Baur in „Feste der Phantasie“. Auch sie sieht das Fest “wie eine Insel im rauschenden Fluß der Tage”, das den Gästen Spielraum gibt zur Selbstvergessenheit:

„Die spielerische Unbeschwertheit hilft uns, die Taue kappen, die uns am Alltag festbinden. Sie hilft uns, uns treiben zu lassen im Augenblick, wohin auch immer er uns trägt. Und nicht mehr an das Festland der Verpflichtungen und Verbindlichkeiten zu denken, nicht an Schulnoten und Prüfungen, nicht an die Raten für den Bausparvertrag oder an den Terminkalender, nicht an den fälligen Großputz, Den Dow Jones oder den Zoff mit dem Chef. Das Fest befreit von allem, was einengt. Zumindest für ein paar Stunden.“

Ein Barbesuch, so wie ich ihn erlebe, ist so ein Heraustreten aus dem Alltag, aus einer Welt der Beschwernisse in ein Reich, in dem alles fließt.

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Gregor Scholl – Rumtrader, Berlin

Ich liebe ja diese kleinen Rückzugbars. Bei manchen dieser „Höhlenbars“, ich zähle mal Gregor Scholls Rumtrader dazu, stehe ich zu Beginn vor einer verschlossenen Tür. – Und das ist gut so.
Der Wechsel aus dem Alltag in das Reich der Gastlichkeit ist kein Gleiten, sondern das Übertreten einer Schwelle. Die Tür ist die Pforte. Wenn man durch sie hindurchgeht, dann spricht sie: Laß draußen, was nicht hineingehört, Gedanken, Wünsche, Sorgen, Eitelkeit. Mach dich frei von allem, was eng und ängstlich ist. Wirf ab, was niederdrückt. Ab jetzt: genieße.

Nach dem begehrlichen Klingeln öffnet mir mein Gastgeber die Tür und bittet mich herein. Die Nacht beginnt mit einem Empfang und ich spüre:
Jetzt bin ich Gast, hier darf ich’s sein…

Doch dazu demnächst mehr unter der Überschrift:
Das Fest und die Bar oder von Gastgebern und Gästen.

Alchemyst

Alchemyst, geboren in den fünfziger Jahren, studierte Philosophie, Theologie und Pharmazie. Heute leitet er eine öffentliche Apotheke in Norddeutschland. Alchemyst ist nicht selten in Champagnerlaune.

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