Escorial Grün vs Chartreuse Verte oder Der andere Klosterlikör

Was macht man, wenn sich ein Produkt schlecht verkauft? – Man produziert ein zweites.
Nach dem Krieg liefen die Geschäfte mit dem damals noch 43 %igen, gelben Escorial naturgemäß schlecht.
Also ergänzte Riemerschmied das Portfolio und kreierte Escorial Grün: eine grünfarbene Kräuterspirituose mit satten 56% Alkohol, die nach einer Klosteranlage benannt war.
Dem Kenner der Szene fällt sofort auf: Solch eine Sprituose gibt es doch schon:
Sie kommt aus Frankreich und heißt Chartreuse.

Chartreuse Grün 55% – Escorial Grün 56% – 100% in der Sonne

Und in der Tat: beide habe eine ähnliche Färbung, beide sind für einen Likör außergewöhnlich hochprozentig, beide tragen den Namen einer Mönchsabtei und beide haben ein kräuteriges bitter-süßes Geschmacksprofil.

Nachdem die Riemerschmieds in den 20er Jahren versuchte, den gelben Ur-Escorial als legalen Absinthersatz zu vermarkten, setzten sie nun alles daran, das Erfolgsmodell von Chartreuse Verte nachzuahmen und Escorial Grün zumindest auf dem deutschen Markt zu etablieren.
Der Erfolg war mäßig. Fand und findet Chartreuse im Bereich der Bar sein grösstes Interesse, fristete Escorial dort eher ein Schattendasein – Bis heute.
Beim Stöbern in älteren Cocktailbüchern fand ich so gut wie keine Mischungen, in denen Escorial Platz fand.
Die wenigen Rezepte, die es gibt, sind entweder gewöhnungsbedürftig (es sei denn man steht auf Eier- oder Bananenlikör) oder einfallslos.

Ein Schlüssel für die angemesse Verwendung von Escorial grün ist seine angestrebte Nähe zu Chartreuse verte. Escorial liefert bei vielen klassischen und neo-klassischen Rezepten, die nach Chartreuse verlangen – Bijou, Last Word usw. – einen frischen, neuartigen Twist.

Wenn ich für meine Gäste Drinks mit grünem Chartreuse bereite, mache ich inzwischen immer eine zweite Variante mit Escorial und lasse beide parallel verkosten.

Escorial Sour – Chartreuse Sour – ohne Eiweiß

Bei einer größeren Runde, die Chartreuse Sour und Escorial Sour probierte, fiel eine Abstimmung über den interessanteren Drink pari aus.

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Escorial Sour / Chartreuse Sour

5cl Escorial grün oder Chartreuse verte
3cl Limettensaft
2cl Zuckersirup
optional 1 Spritzer Orangensaft
1 Eiweiß

Dry Shake, danach auf Eis schütteln und in eine Cocktailschale abseihen.

Auf die Zugabe von Orangensaft kann ich persönlich gut verzichten,
Eiweiß dagegen liftet den Drink in andere Sphären.

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Bei alle dem schmecken Chartreuse und Escorial keineswegs gleich, sondern maximal ähnlich. – Escorial Grün ist kein „deutscher Chartreuse“.
Beides sind ähnlich gestrickte Kräuterliköre, aber mit klar erkennbaren Unterschieden:
Chartreuse ist ein französischer Edelmann. Sehr fein, sehr ausgeglichen, ausbalanciert und geschliffen. Ein feines Likörkunstwerk. „Die grüne Eminenz unter den Likören“ sagt Gabanyi.
Escorial wirkt dagegen wie ein deutscher kraftstrotzender Bursche vom Lande. Er ist kantiger, ruppiger, mit einem deutlichem Anis- , Fenchel-, Süßwurzelakzent und einer Waldmeisternote. Durch diesen Eigencharakter gibt er einem bekannten Chartreuse verte Drink einen neuen überraschenden Kick.

Wenn man sich zwischen den beiden Kräuterspirituosen nicht entscheiden kann, bleibt ja noch die Möglichkeit beide Destillate nebeneinander zu gesellen, wie bei folgendem 60er Jahre Cocktail…

Ein ungewöhnliches Rezept

Alchemyst

Alchemyst, geboren in den fünfziger Jahren, studierte Philosophie, Theologie und Pharmazie. Heute leitet er eine öffentliche Apotheke in Norddeutschland. Alchemyst ist nicht selten in Champagnerlaune.

6 Kommentare

  1. Mika

    Ich habe gestern durch Zufall Escorial probieren können und war doch sehr überrascht, positiv. Was vielleicht auch noch interessant wäre ist der Preisunterschied!

  2. Whiskeyfreund

    Der Preisunterschied beträgt fast 10 € bei einer 0,7 l Flasche.
    Der grüne Escorial kostet so um die 12-13 €, der Chartreuse vert liegt bei ca. 21-22 € die Flasche.

  3. Eisanker

    22,- € für einen Chartreuse Verte ist aber eine Seltenheit.
    Wo gibts denn für so wenig Geld?
    Danke und ciao
    Eisanker

  4. Oliver Steffens

    Hallo Eisanker,

    vor zwei Jahren, als der Whiskeyfreund seinen Kommentar schrieb, kamen 22 Euro für eine Flasche Chartreuse verte durchaus hin. Heute liegt der Preis bei 25 Euro (z.B. in der Weinquelle oder bei Spirituosen Wolf).

  5. Sehr interessant auch, daß bei diesem Rezept Chartreuse mit Escorial kombiniert wird.

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