Vor einiger Zeit hatte mich eine Erkältung dick erwischt. Einen teilweisen bis starken Verlust der Sensorik kenne ich, aber diesmal war wirklich alles weg. Ein tiefer Atemzug an der Packung Kamillentee – nichts. Für jemanden wie mich, der außerordentlich gerne isst, war das extrem unangenehm.
Überhaupt nichts zu schmecken hat mich beim Essen massiv irritiert – aber die Bedeutung der Textur von Speisen auf ein ganz neues Niveau gehoben. Gezwungenermaßen fing ich an, mich damit auseinanderzusetzen und kam zu durchaus überraschenden Ergebnissen. Der Anteil der Textur an einem Geschmackserlebnis variiert stark. Die Karotten-Ingwer-Suppe am Abend hat dem Hals sicher gut getan, doch die Konsistenz war nicht abwechslungsreich. Zwar angenehm in Kombination mit der Temperatur, aber insgesamt fad. Das Gericht lebt also vom Aroma, das durch die Nase wahrgenommen wird – denn die Säure der Orange und die Salzigkeit (und die Schärfe des Ingwers, ist aber eigentlich ein Schmerzreiz) konnte ich wahrnehmen. Diese Rezeptoren liegen auch direkt auf der Zunge, leiden also nicht unter der Blockierung der Rezeptoren der Nase.
Ein anderes Ergebnis lieferte das frische Baguette zur Suppe. Kross-zerklüftete Kruste, weiches, mit Luftlöchern verschiedener Größe durchzogenes Inneres… Hier konnte man das Produkt völlig problemlos zuordnen und ein viel größerer Teil des Genusses blieb erhalten.
Diese simplen Beobachtungen haben mich länger nachdenken lassen, da die Bedeutung der Textur beim Essen offensichtlich einerseits immens ist und andererseits von Produkt zu Produkt stark variiert.
Was bedeutet dies für die Bar, für Drinks?
Bei allen Parallelen von Küche und Bar ist hier eine starker Unterschied festzustellen. Fast alle Mittel, um Texturen verschiedener Art für einen Gang zu kreieren, stehen an der Bar nicht zur Verfügung. Wird in Bezug auf Drinks über Textur gesprochen, geht die im Regelfall in eine bestimmte Richtung: Viskosität, Einbindung von Luft, Eiweiß, Schaumigkeit, Fluffigkeit. Für mich persönlich bietet ein Ramos Gin Fizz eine der aufregendsten Texturen der klassischen Bar. Molecular Mixology weit vor der Geburt dieses Schlagwortes.
Doch ein knusprig-krosser Drink? Ein sanft-schmelzender Drink? Hier wird es schon schwierig.
Beim Konsum von Flüssigkeiten besteht eine Loslösung von großen Teilen des Texturellen. Mit Schaum, Eiweiß und Kohlensäure kann man arbeiten, um am Mundgefühl zu feilen und auch die alkoholische Stärke und die zuckerbedingte Viskosität machen Unterschiede – aber der Werkzeugkasten ist, im Vergleich zu Küche, doch klein.
Wozu führt das?
Beim Beschreiben eines Essens wird man auf den Geschmack eingehen, aber auch die Textur kommt sicher nicht zu kurz. „Das Fleisch war herrlich zart!“ ist oft der erste Satz, mit dem ein (nicht überkomplexer) Gang populär beurteilt wird. Intensitäten bestimmer Aromen stehen im Regelfall hinter der Beschreibung der Textur („sehr krosse Bratkartoffeln…“) zurück.
Ich denke, dass dies daran liegt, dass es viel einfacher ist, Texturen zu beschreiben als Geschmacksempfindungen. Für letztere muss ein Bewusstsein geschaffen werden, das einerseits eine aktive und bewusste Auseinandersetzung mit der Materie erfordert und andererseits sicherlich viel Training erfordert. Die Intensität einer Paprika beim Trinklaune-Besuch des Restaurants reinstoff ist mir noch immer präsent, eine alte Tomatensorte ließ das dazu gereichte – wundervolle – Kalbsbäckchen in der Küchenwerkstatt verblassen. Doch hierfür braucht man eine gewisse Aufmerksamkeit. Bringt man sie mit, ist man auf dem besten Weg, neue Geschmackserlebnisse en masse sammeln zu können.
Dies führt mich zu Spirituosen und anschließend auch zu Cocktails.
Durch den Verlust größter Teile des Texturellen (von Öligkeit und Viskosität, Seidigkeit etc. kann man nach wie vor sprechen) muss man sich beim Verkosten einer Flüssigkeit auf den Geschmackseindruck konzentrieren. Vielleicht hat auch dies zu den Auswüchsen der Wein beschreibenden Sprache geführt, die manchmal doch eher hochtrabend daherkommt. Aber die Konzentration auf den Geschmack erlaubt nunmal wenig Randnotizen und Ausflüge. Außerdem wird auf eine zeitversetzte Wahrnehmung verzichtet. Ein zeitlich ablaufender Akkord durch ein aufeinander folgendes Zerkauen, wie Jürgen Dollase ihn wiederholt beschrieben hat, ist bei Flüssigleit nicht möglich.
Für gemischte Drinks folgt hieraus meines Erachtens eine enorme benötigte Präzision beim Komponieren von Rezepten. Kein Ausgleich über eine spannende Textur ist möglich, der reine Geschmack ist direkt zugänglich (aber Veränderungen durch Temperaturanpassungen ausgesetzt). Dementsprechend schnell treten Dissonanzen oder Unsauberkeiten zutage.
Aber wie ist ein stärker texturfokussiertes Mixen denkbar? Knusprige Elemente, die neben dem Trinken zerkaut werden müssen? Unschön. Molekularer Kaviar aus sieben lebensmitteltechnisch bedenklichen Zusatzstoffen? Möchte ich nicht in meinem Glas haben.
Ich glaube, das hier noch viel Spielraum liegt. Ihn zu entschlüsseln dürfte im selben Maße spannend wie schwierig sein. Ich werde mich auf jeden Fall mal daran versuchen – vielleicht kann man sich Textur bei Drinks noch anders nähern.
In einem kleinen Ausblick sein noch auf die Temperatur hingewiesen. Mit Temperaturen spielt jeder Drink, meinen Daiquiri liebe ich frisch und kalt, mein Manhattan darf ruhig etwas Temperatur bekommen, damit sich die komplexen Aromen des Ryes entfalten können. Der Casino Soul geht auch als Scaffa ohne jeglichen Eiskontakt. Der Zugang zu dieser Sphäre, die für das Kochen ebenfalls von immenser Bedeutung ist, ist zumindest deutlich besser zu greifen.
Ein wunderbarer Text, vielen Dank.
Ich habe mir auch schon der Kopf über den Zusammenhang von Textur und Cocktails zerbrochen. Das Feld ist wirklich immens kleiner als in der Küche.
Vielleicht könnte die Schwierigkeit beim Beschreiben auch in der Fehlenden Sprache liegen. Je höher die Kultur, desto reicher die Sprache, sagt Tchechow. Der Hinweis auf die hochtrabene Sätze in der Weinwelt ist sicher richtig, nur: ist sie die einzige Art, einen Geschmack zu beschreiben?
Vielleicht wäre es interessant, einen Geschmackseindruck anders auszudrücken. Du hast Dollase erwähnt und das von ihm entwickelte anschauliche Verhälnis von Zeit und Intensität in gezeichneter Form. Könnte man versuchen, die Sprache statt verbal auf andern Wegen auszudrücken? Vielleicht durch Farben oder Klänge? Oder klingt das zu esoterisch?
Erstmal dankeschön!
Geschmäcker mit Farben zu beschreiben funktioniert für mich persönlich recht gut, ich mache das häufiger. Bspw. im nächsten Champagner-Bericht wird man darauf stoßen.
Das Problem ist die darin liegende Subjektivität, die einfach nicht erklärbar ist, wenn man nicht das gleiche Gefühl, das hinter einer Farbassoziation steckt, teilt. Auch können Missverständnisse entstehen, wenn man zwar glaubt, das gleiche zu fühlen, es sich aber schlussendlich um andere Wahrnehmungen handelt.
Wunderbar, das weckt Lust auf mehr! Ich freue mich schon auf Deinen nächsten Artikel.