Vor zwei Wochen hat sich Philipp in seinem Artikel „Die optimale Trinktemperatur“ detailliert mit der temperaturabhängigen Wahrnehmung von Aromen und der dazugehörigen Physiologie beschäftigt. In seinen Ausführungen macht Philipp klar, dass die Temperatur entscheidende Auswirkungen auf das Geschmacksempfinden von Cocktails und Wein hat. Die durch thermische Schwankungen entstehenden Sinnesreize stellen jedoch nur den finalen Aspekt in der Bedeutung der Temperatur für Getränke dar. In der Lebensmittelindustrie sind thermische Verfahrensschritte oft essentiell bei der Herstellung eines Produkts. Dieser Bericht soll einen kleinen Einblick in die physikalische Größe Temperatur und ihre Bedeutung für Lebensmittel und insbesondere Alkoholika bieten.
Was ist überhaupt Temperatur?
Wie man es vielleicht noch aus dem Physikunterricht kennt, wurde die Grundgröße Temperatur zur Untersuchung des thermischen Verhaltens von Stoffen eingeführt. Ebenfalls aus der Schule sollte bekannt sein, dass sämtliche festen Stoffe, Flüssigkeiten und Gase aus sehr kleinen Teilchen, den Atomen und Molekülen, bestehen. Auf molekularer Ebene betrachtet ist Wärme eigentlich nur die Bewegungsenergie der Molekülbewegung. Sprich je schneller sich die Moleküle in einem System bewegen umso höher ist auch ihre Temperatur. Kommt die Molekülbewegung zum erliegen, ist der absolute Nullpunkt (−273,15 °C) erreicht. Auch wenn sich mancher Genießer diese Temperatur für seinen Martini wünschen würde, so ist sie – zum gesundheitlichen Vorteil des Connaisseurs – nur eine ideale Messgröße und kann nicht erreicht werden (auch wenn man sehr nah dran ist).
Genussrelevantes Verhalten von Flüssigkeiten bei unterschiedlichen Temperaturen
Je schneller sich die Moleküle bewegen, umso mehr Energie besitzen sie auch. Diese Energie geben sie in Form von Stoßenergie an andere Moleküle ab, die nun ebenfalls beginnen sich schneller zu bewegen. Durch diese Energieübertragung breitet sich die Wärme im betrachteten System aus und es erhitzt sich im Laufe der Zeit gleichmäßig. Fügt man einer Flüssigkeit genügend Energie zu, so bewegen sich die Moleküle so schnell, dass sie die Flüssigkeit verlassen können und in Form von beispielsweise Wasser- oder Alkoholdampf in den gasförmigen Aggregatzustand übergehen. Wenn diese Dämpfe die Flüssigkeitsoberfläche verlassen, reißen sie auch immer Aromastoffe mit, wodurch sich erklären lässt, dass ein warmes Getränk intensiver riecht als ein kaltes. Allerdings entweichen durch hohe Temperaturen auch oft Geruchsstoffe aus dem Getränk, die aus kulinarischem Aspekt besser in der Lösung geblieben wären. Bei Temperaraturen über 20°C verdampft bei Wein oft schon so viel Alkohol, dass er den Wein aus dem Gleichgewicht bringt. Auch ein zu warmer Hot Buttered Rum hat einen beißenden Alkoholgeruch. Hohe Temperaturen begünstigen außerdem die Freisetzung von Kohlensäure, weshalb man Schaumweine am besten gut gekühlt serviert um ein zu starkes schäumen einzubremsen.
Bei niedrigen Temperaturen wird die Molekülbewegung verlangsamt und mit abnehmender Molekülgeschwindigkeit steigt die Viskosität der Flüßigkeit. Jeder Hobbybarkeeper kennt dieses Phänomen von der Verwendung von flüssigem Honig in Drinks. Sobald der Honig auf kalte Eiswürfel oder in die kalte Cocktail-Flüssigkeit tropft wird er relativ zäh und lässt sich schlechter verarbeiten als im warmen Zustand.
Gezielter Einsatz von Temperaturen in der Getränkeindustrie
Wenn der Whisk(e)y friert
Auch wenn wir jetzt etwas in den chemischen Bereich abdriften, so hat die gezielten Erniedrigung der Temperatur gerade in der Whisk(e)yproduktion einen wichtigen Stellenwert. Bei der sogenannten Kältefiltration wird der Whisk(e)y stark herabgekühlt, wobei sich die im Getränk befindlichen Fette verfestigen und mithilfe einer Filtration entfernt werden können. Dieser Vorgang wird eigentlich nur aus optischen Gründen durchgeführt, da der Whisk(e)y sonst bei niedrigen Temperaturen trübe werden würde und viele Verbraucher hierin einen Mangel sehen. Aus molekularer Sicht passiert hier nichts anderes als eine einfach Fetthärtung, wie man sie beispielsweise auch vom Olivenöl kennt. Je nach Zusammensetzung der Fettsäuren (gesättigt; ungesättigt), haben die jeweiligen fetthaltigen Produkte unterschiedliche Schmelzpunkte. So ist Palmfett beispielweise auch noch bei Temperaturen fest, bei denen sich normale Butter schon längst verflüssigt hat. Der Schmelzpunkt von Ölsäure liegt bei 17 °C. Unterhalb dieser Temperatur beginnt sich Olivenöl (ähnlich wie der Whis(e)y) zu trüben und wird schließlich irgendwann fest.
Pasteurisation
Den Begriff „pasteurisiert“ kennt jeder von der morgendlichen Frühstücksmilch. Dass die Pasteurisation allerdings auch für viele Produkte in der Bar, wie beispielsweise Säfte, Energy Drinks, Wein oder Bier, eine entscheidende Rolle spielt geht oft unter. Die Pasteurisation wurde 1864 von dem französischen Chemiker Louis Pasteur entwickelt. Sie ist ein physikalisches Verfahren, bei dem das zu behandelnde Produkt für wenige Sekunden auf 72 bis 75 °C erhitzt wird. Durch die Hitzeeinwirkung findet eine irreversible Denaturierung der Eiweiße der meisten Mikroorganismenzellen statt und diese sterben ab. Da nun Säfte oder Energy Drinks durch ihren hohen Zuckeranteil einen idealen Nährboden für Mikroorganismen darstellen, werden diese – oft in Kombination mit Säure – durch Pasteurisation länger haltbar gemacht.
Sugar, Sugar
Sugar, Sugar ist nicht nur der Titel des erfolgreichsten Hits des Jahres 1969, sondern wärmebehandelter Zucker begegnet uns auch tagtäglich in vielen Drinks.
Zucker in der Bar
Vermischt man Zucker mit Wasser so löst er sich auf. So zumindest die Theorie. Nicht ohne Grund wird in der Bar jedoch meistens bereits gelöster Zucker in Form von Läuterzucker verwendet. Denn oft löst fester Zucker sich schlecht in den kalten Drinks und wirkt, falls er nicht gewünscht ist, störend. Neben einer großen Oberfläche (Puderzucker löst sich besser als Kandiszucker), ist für das Lösungsverhalten von Zucker besonders die Temperatur entscheidend. Erhitzt man bei der Herstellung des Zuckersirups den Haushaltszucker mit Wasser, so greifen die Wassermoleküle an der Zuckeroberfläche an und durch die hohen Temperaturen beginnen sich die kristallinen Anteile des Zuckers zu erweichen. Erhitzt man den Zucker ohne Wasser, so erweicht er ebenfalls und kann zu eleganten Figuren und Verzierungen gezogen werden, bevor er durch abkühlen schließlich wieder fest wird. Diese Eigenschaften machen ihn zu einem thermoreversiblen Werkstoff.
Zucker im Absinth / Karamell im Whisky
Man kann die verschiedenen Zustände des Zuckers auch sehr gut bei bei der Vorbereitung eines Absinthes beobachten. Bei der Zubereitung eines Absinthes bedienen sich viele nostalgische Liebhaber der Wermutspirituose dem klassischen Verfahren. Dabei wird ein Stück Würfelzucker auf einen speziellen Absinth-Löffel gelegt, mit dem Absinth übergossen und angezündet. Der Zucker verflüssigt sich allmählich, tropft in das Glas und zurück bleibt eine klebrige, braune Masse. Das Schmelzen und das Braunwerden des Zuckers liegen dabei thermisch gesehen nah beieinander. Bei ca. 190 °C beginnt das vollständige Aufschmelzen der Kristalle und die letzten Zuckermoleküle beginnen in langen Fäden in den Absinth zu tropfen. Steigt die Temperatur des Zuckers um weitere 20-30 °C beginnen sich Sauerstoff und Wasserstoff aus den Zuckermolekülen zu lösen und er fängt an zu karamellisieren. Diese Karamellisation ist eine nicht-enzymatische Bräunung und beschreibt die Umwandlung von Zucker in braunen Karamell. Auch die Spirituosenindustrie macht sich die Bräunung des Zuckers zunutze. Durch eine extrem starke Erhitzung von Zucker mit Bräunungsbeschleunigern (Ammoniak, Sulfitlauge, Ammoniumsulfit) bildet sich Zuckercouleur, der zur Färbung von Whisky und anderen braunen Spirituosen verwendet wird.
Sicherlich gibt dieser Artikel nur einen winzigen Einblick in die Notwendigkeit des gezielten Einsatzes von thermischer Energie für die Herstellung und Haltbarmachung von Lebensmittel. Man sollte sich jedoch stets vor Augen halten, dass ohne die Anwendung von temperaturabhängigen Verfahren viele Getränke in dieser Form nicht erhältlich wären.
Fetthärtung ist eatwas ganz anderes. Dies bezeichnet aus chemischer Sicht die Hydrierung von C-C-Doppelbindungen. Die entstehenden Produkte sind regelmäßig höhersiedend bzw. höherschmelzend. Das Ausfrieren von „Fetten“ – bei alkoholischen Getränken aber wohl eher gemeint die etherischen Öle (die allerdings auch die Geschmacksträger sind) – hat mit Fetthärtung nix zu tun.