„L’heure bleue – Die Blaue Stunde!
Noch einmal erinnert sie an die vergangenen Stunden des Tages und verspricht uns die Schönheit der Nacht. L’heure bleue – das ist die Zeit für ein Gespräch mit lieben Bekannten – ist vor allem die große Stunde des Cocktails. Seine Freunde teilen sich –wie so oft – in Kenner und Bewunderer. Wer selbst schon mit Perfektion den Shaker geschüttelt hat – nun dem werden unsere Tips vertraut sein. Diese Meister des Faches werden vielleicht das eine oder andere Mixrezept als neu begrüßen und gerne ausprobieren. Doch wer sich bisher darauf beschränkte, einen Empire Cocktail mit einem genießerischen „Ah!“ zu kommentieren, wer mit leichter Unsicherheit das strenge Zeremoniell der Gläser ansah, dem möchten wir ein paar gute Tips und Rezepte vermitteln – zu seiner und seiner Gäste Freude, denn – Cocktails trinkt man nicht alleine.“
– aus „Den Freunden des Cocktails“
Beim Sichten meiner Cocktail-Literatur fand ich ein kleines, unscheinbares Heftchen mit dem Titel „Den Freunden des Cocktails“. Ich hatte es nach einmaligem Durchblättern beiseite gelegt, wegsortiert und völlig vergessen. Bücher, die als reine, öde Rezeptsammlungen daherkommen, langweilen mich. Das galt umso mehr für diese kleinformatige, 16 seitige Broschüre, die ich dem Augenschein nach, aufgrund der Wortwahl und der Illustrationen dem Anfang der 60er Jahre zuordnen würde, es ist somit rund 50 Jahre alt. Das Heftchen gehörte wohl meinem Vater oder Großvater, die ebenfalls Pharmazeuten waren und wurde damals von der Darmstädter Arzneimittel-Firma Merck verteilt zur Freude ihrer Apotheken-Partner für „Die Freunde des Cocktails“. Neben Cocktailrezepten ist es gespickt mit Werbung für einige klassische Merck Produkte wie Cebion und Multibionta Brausetabletten und das inzwischen vom Markt genommene Arzneimittel Reaktivan.
Beim ganz oben zitierten Text, der das Büchlein einleitet, hakte ich bei folgenden Satz ein: „Doch wer sich bisher darauf beschränkte, einen Empire Cocktail mit einem genießerischen „Ah!“ zu kommentieren…“
Den Empire Cocktail kannte ich nicht, habe somit noch nie als Kommentar ein genießerisches „Ah!“ vernommen und musste nun zur Kenntnis nehmen, dass dieser Drink anscheinend in den Fünfziger Jahren eine gewisse Beliebtheit erreicht hatte. Ausserhalb meines Merck-Heftes fand ich dafür allerdings noch keine Belege.
Auf der Suche nach dem Ursprung des Empire Cocktails stößt man auf ein Land mit großer imperialer Vergangenheit in dessen Hauptstadt eine berühmte Bar in einem feinen Hotel zu finden ist. Dessen ehemaliger Head-Bartender Harry Craddock sammelte Drinks-Rezepte und fasste sie 1930 im „The Savoy Cocktail Book“ zusammen. Dieses Rezeptbuch des Londoner Savoy Hotels ist eines der wichtigsten historischen Barbücher und eines der besten Rezept-Kompendien. Ich zitiere aus dem Savoy Cocktail Book:
„Many of the 1930s recipes have a truly historical, almost colonial ring to them: Planter’s Cocktail, Coronation, East India, Poop Deck“
Den Empire Cocktail würde ich dazu zählen. Das Savoy Buch überliefert ihn folgendermaßen:
Empire Cocktail
¼ Apricot Brandy
¼ Calvados
½ Gin
Shake well and strain into a cocktail glass.
Ein kolonialer Schmelztiegeldrink. „The British Empire“ hatte in der indischen Kolonie seinen Hauptstützpfeiler. Indien ist auch das Land in dem die Aprikosenbäume blühen und Gin war dort so etwas wie das Allheilmittel gegen Durst, Malaria und vielerlei Unbill. – Wer sich näher mit diesem Savoy Drink auseinandersetzen möchte, den verweise ich auf einen Beitrag vom geschätzten Bloggerkollegen Olaf Wüstenhagen, der sich vor nicht allzu langer Zeit ganz famos mit dem gerührten Cocktail namens
Angel’s Face
2 cl Apricot Brandy
2 cl Calvados
4 cl Gin
auseinander gesetzt hat und nach dessen Ursprung fahndete: „Ich stöberte nun durchs Internet und konnte nicht wirklich viel über diesen Cocktail finden. Ich kenne weder sein Entstehungsjahr, noch wer ihn als erster gerührt hat. Vielleicht kann mir ja einer von euch etwas darüber erzählen.“ –
Tun wir: Wir können nun feststellen, dass der „Empire Cocktail“ des Savoy Buches und „The Angel‘s Face“ aus der Dino Bar in der Zusammensetzung identisch sind.
Dass dieser Cocktail immer wieder unter zwei Namen zu finden ist, zeigten wir bereits in Philipp Jäckels „Die alte Dame und ihr Gin“.
Wie auch immer es zu diesem Namens-Switch kam . Die bunte Cocktailwelt liefert unter dem Namen Empire Cocktail oder Angels Face verschiedene Rezepte mit verschiedenen Anteilen der drei Komponenten (meist 4:2:2 oder 3:3:3), aber immer mit den typischen Bestandteilen Gin und Apricot Brandy.
Der Empire Cocktail meines kleinen Heftes verlangt nun statt eines Apfelbrandes Cognac und erreicht damit eine Harmonie, einen Zusammenklang, der das Produkt des Savoy Hotels in seiner Stimmigkeit noch über-flügelt. – Womit wir wieder bei engelhaften Assoziationen angekommen sind…
Doch dazu in ein paar Tagen mehr, wenn wir uns ausführlich mit den Zutaten und unserer Interpretation des Rezeptes im Trinklaune Style beschäftigen zuerst unter der Überschrift: Einige Gedanken zum Sinn und Unsinn eines Cocktailrezeptes.
Spannender Bericht, der mir zeigt, dass ich doch noch hätte weiter recherchieren sollen…
Gruß Olaf
Mir ist auch erst recht spät aufgefallen, dass Philipp den Empire/Angel’s Face bereits in seinem „Die Alte Dame und ihr Gin“ erwähnt hatte – da war ich auch erstaunt.