Was macht einen großen Drink aus? Welche Faktoren beeinflussen die Qualität eines Drinks? Wie liftet man eine mittelprächtige Drinkidee in kulinarische Höhen? Diese Gedanken bewegten mich angesichts des Rezeptes des Empire Cocktails aus meiner kleinen alten Rezeptsammlung „Den Freunden des Cocktails“.
Denn das Rezept gefiel beim ersten Augenschein nicht. – Aus drei Gründen:
1. Die Komposition
Bei der Zubereitung von Essen als auch bei Getränken bin ich ein Schüler der “Nouvelle Cuisine“. Einer der Grundsätze dieser Schule ist, dass der Eigengeschmack der Zutaten erhalten bleiben sollte. Im Zusammenhang mit „Mixed Drinks“ bedeutet das, dass nur eine Basisspirituose enthalten sein sollte. Im Empire Cocktail aber haben wir mit Cognac und Gin gleich zwei Basisspirituosen. – Was ist davon zu halten?
Im „Lexikon der Lebensart: Stilvoll leben und genießen mit Geist und Geschmack “ findet man unter dem Stichwort „Cocktail“:
„Was ist drin in einem guten Cocktail? … Es gilt daran zu erinnern, dass ein klassischer Cocktail stets eine hochprozentige Spirituose als Grundlage haben muss, sei dies Gin, Rum, whisky oder Whiskey, Brandy, Wodka oder Obstbranntwein. Dazu gesellen sich Aroma- bzw. Geschmacksergänzer wie Vermouth, Liköre oder Fruchtsirupe. Doch sollte ein Rumcocktail immer nach Rum, ein Gincocktail immer nach Gin schmecken; diese eine Spirituose muss den Ton angeben, alle anderen Zutaten dürfen allenfalls das Thema variieren.“
2. Die Proportion
Die wahre Quailitätsdimension der Küche wie der Bar ist die Kunst der Zusammensetzung.
Und fand ich oben schon die Komposition der Zutaten, der Qualitäten „seltsam“, störten mich noch mehr die Proportionen. Einen Drink 1:1:1 zusammenzusetzen, scheint mir wenig ausgefeilt: Wo ist hier die Feinabstimmung, wo die austarierte Balance der Zutaten, wo die ausgeklügelte Aromenmischung, wo die quantitative Gewichtung der Zutaten, wo die Abrundung des Geschmacksbildes? –
Ein Drink einfach aus drei gleichen Teilen? – Hah, das gehört wohl eher ins „Vorschulprogramm für kleine Hobbymixer“.
3. Die Dilution
Dieser Cocktail ist (zu) stark. Die entscheidende Zutat, um aus einem alkoholischen Mischgetränk einen Cocktail zu machen, ist das Eis. Es dient dazu, den Drink zu kühlen und zu verdünnen. Der Empire Cocktail ist ein alkoholreicher Drink. Der verborgene Geist , der Alkohol ist in diesem Drink sehr dominant, sodass der Cocktail lange, lange gerührt werden muss, damit eine ausreichende Verdünnung stattfindet und der Drink eine angemessene Trinkstärke und damit Geschmacksintensität erreicht…
Aufgrund des unorthodoxen Zutaten-Mischung, des mangelhaften Feintunings der Proportionen und einer drohenden Übersprittung erwartete ich somit keinen großen Drink. Und doch war ich neugierig.
Ich erinnerte mich an ein Leitwort aus Dietrich Bocks Buch „Erlesene Cocktails für private Gäste“. Es lautet:
„Cocktail-Mixing ist eine Kunst, eine auf Phantasie, Können und geistiger Kraft beruhende freie, schöpferische Tätigkeit. Seine Lehren lassen sich nicht erschöpfend darstellen, die Schlacht an der Bar ist mit starren Formeln allein nicht zu gewinnen. Doch müssen klare Grundsätze jeden Cocktail-Mixer leiten.“
Die Regeln der Koch- oder Mixkunst sind gut und schön. Diese Regeln zu kennen hilft dabei, einen Drink und seine Komposition zu verstehen und zu gestalten. Die Kenntnis dieser Regeln ist eine der Grundbedingungen für den vollendeten Genuss, denn sie helfen uns zu unterscheiden. Schmecken bedeutet Unterscheiden. – Denken, Schmecken, Genießen. Unsere drei Leitworte gehören unmittelbar zusammen.
„Eine auf Phantasie … beruhende freie, schöpferische Tätigkeit“ :
Doch die „Regeln der Kunst“ sind Leitplanken, Wegweiser, um geschmacklichen Verirrungen vorzubeugen und um einen gewissen Standard zu halten. Sie sind aber keine „starren Formeln“, keine unverrückbaren Dogmen. Wie oft haben wir hier schon den „Mehrwert des Mischens“ beschworen. Die Mischung ist mehr als die einfache Addition ihrer Zutaten. Und auch ein Cocktailrezept mit einer 1:1:1 Mischung ist kein Dogma, sondern ein Vorschlag. Das Rezept muss den Zutaten und dem eigenen Geschmack angepasst werden. Es gibt eine Fülle verschiedener Cognac-Qualitäten, ich habe in meinem Barstock alleine vier sehr verschieden geartete Apricot Brandys und hat nicht Oliver mit seinen über 100 Gins bewiesen, dass das Bar-Universum dem Kochuniversum mit seinen schier unendlichen Möglichkeiten und Variationen kaum nachsteht?
Zudem erinnerte ich mich an den Sidecar Cocktail. Er ist zweifach überliefert. Es gibt die englische Tradition: Cognac, Cointreau, Zitronensaft im Verhältnis 2:1:1 und die französische Überlieferung mit 1:1:1. Obwohl ich die englische Variante des Savoy Cocktail Buches bevorzuge, hat auch die 1:1:1. Version ihre Berechtigung.
Mit den richtigen Zutaten…
Dazu mehr im letzten Teil: The Empire Cocktail – ein königlicher Genuss.
2 Basisspirituosen und eine 1:1:1 Mischung, na ja könnte man ja mal ausprobieren, ich mochte dieses Rezept ja nicht vorverurteilen 😉
Der Negroni hat ja auch eine 1:1:1 Mischung, ich werd den heute mal ausprbieren, vieleicht mit einen Zitronentwist und abspritzen.