Weiter im Text – zwei weitere Flaschen Selosse hatten wir noch vor uns. Erfrischt durch den köstlichen Cappuccino von Curry und Zitronengras nach Dieter Müller gingen wir erst einmal zum Räuchern einiger frischer Taubenbrüste über. Eine aberwitzige Aktion, wenn man keinen Räucherofen hat – den Topf zügig aus der Küche zu bringen kann nur empfohlen werden…
Aufgrund der starken Räucheraromatik der Tauben haben wir diesen Gang mit einer Flasche von Markus Molitors Wehlener Klosterberg* – ausgebaut im Bowmore-Fass – begleitet und auf den hierfür zu subtilen Champagner verzichtet. Auch das folgende Sorbet wurde nicht zu Selosse-Weinen gereicht. Zum Begleiter hierzu – einem Eiswein-Sekt aus Rheinhessen – jedoch später mehr!
Jacques Selosse Substance
Der nächste Champagner war die Solera-Cuvée von Jacques Selosse. Diese Solera besteht seit 1986 und lieferte uns bei unserem Winzerchampagner-Menü im Vorjahr, nach vierjähriger Flaschenreife, einmalige Genussmomente. Entsprechend neugierig waren wir auf die noch sehr junge Substance, degorgiert 06/12 – natürlich wieder zu 100 % aus Chardonnay gekeltert. Preis: 175,00 €.
Nase:
Überraschend dunkel von der Stilistik – erneut fällt die beeindruckende geschmackliche Tiefe auf, die Anselme Selosse seinen Chardonnays aus besten Lagen zu entlocken vermag. Viel Kraft, viel frische Traube, Oloroso- und Palo Cortado-Aromen mit einer immensen Wucht und Energie. Elektrisierend – viel Granny Smith-Apfel.
Gaumen:
Bereits beim ersten Schluck merkt man, wieviel – welch treffender Name der Cuvée – Substanz in diesem Champagner steckt. Die Geschmacksschichten liegen komplex übereinander, Apfelfrucht, starke Säurestruktur, eine immense Frische mit viel Körper. Erst mit der Zeit werden sich diese Aromen sortieren, was dem jetzigen Genuss jedoch keinesfalls Abbruch tut. Das junge Alter des Champagners ist deutlich, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass es sich um reines Potenzialtrinken handelte. Dafür bot diese einladende und doch auch fordernde Substance einfach zu viel. Dieser Wein wirkt üppig, dabei aber keineswegs barock-überladen. Mit der Zeit entfaltet sich eine tolle Frucht.
Abgang:
Der Wein bleibt sich treu – einladend, reichhaltig, frisch. Alles dabei! Und trotzdem erfreulich animierend. Ich könnte mir problemlos vorstellen, eine ganze Flasche an einem Abend zu trinken…
Man merkt an dieser Stelle ganz deutlich, warum Anselme Selosses Weine immer höher gehandelt werden. Sie sind schlichtweg fantastisch! Nicht anstrengend, immer reichhaltig, immer faszinierend. Jeder Champagnertrinker sollte sich einmal eine Flasche Substance genehmigen. Im Idealfall: jetzt kaufen und für mindestens drei jahre in den Keller damit…
Jacques Selosse 1999
Der Champagner, mit dem der Abend beschlossen wurde, war eine der raren Jahrgangsabfüllungen von Selosse. Kaum auf dem Markt erhältlich und für sehr hohe Summen werden diese Weine gehandelt. Bekommen haben wir einen 1999er in Italien für einen Preis von ca. 240,00 € mit Versand nach Deutschland. Degorgiert 04/10, natürlich 100 % Chardonnay, als Extra Brut dosiert.
Nase:
Dick, fett, breit. Schon zu Beginn merkt man, wieviel in diesem Wein steckt. Honig wie in den besten Champagnern aus 1990, dazu eine reine und klare Frische. Goldgelb und verführerisch im Glas.
Gaumen:
Außerordentlich reichhaltig! Daniel erinnert an die Ben&Jerrys-Werbung: „Von allem zu viel.“ Das trifft es außerordentlich gut. Eine wahnsinnige Palette an Aromen, fantastisch zusammengefügt. Butterkaramell, reiche Fruchtigkeit. Mit Zeit gesellen sich Koriandersamen und getrocknete Kräuter dazu. Eine Breite wie eine gute Flasche Pol Roger Winston Churchill, dabei aber keineswegs träge, sondern agil und lebendig durch eine hervorragende Säure und eine phänomenale Perlage.
Was hier im Glas ist, ist schlichtweg genial. Eine überwältigende Menge an Aromen, zusammengefasst und gebündelt, gepaart mit einer animierenden Säure und einer tänzelnden Leichtigkeit. Dieser Champagner knistert. Er begeistert. Phänomenal.
Abgang:
Wenig überraschend: außerordentliche Länge, hohe Intensität. Überwältigend.
Ein Champagner, wie es nur wenige gibt, war hier im Glas. Eine beeindruckende Erfahrung, aber aufgrund seiner Reichhaltigkeit auch sättigend.
Jahrgangs-Selosse ist wirklich beeindruckend und der Hype um diese raren Flaschen ist nachvollziehbar. Knapp drei Jahre nach Degorgement war offensichtlich auch ein guter Zeitpunkt zum Öffnen dieser Flasche, sie hatte noch jugendliche Frische und Charme, war aber aus den wildesten Zeiten heraus.
Klar wurde, dass jeder der weißen Weine dieser fröhlichen Verkostung (mit Ausnahme des 1999ers bei Wein nach Maß zu bekommen) ein Tasting mit Weinen der meisten anderen Erzeuger klar dominieren würden. Anselme Selosses Fähigkeit, komplexe, reife Champagner herzustellen, die sich trotzdem leicht erschließen, scheint mir fast einmalig in der Champagne zu sein. Viel Frucht, gepaart mit perfekter, recht hoher Säure, ist hier kein Widerspruch. Die Weine können sich entfalten, verfügen über ausgeprägte Körper und belohnen mit absoluten Genusserlebnissen.
An Selosse führt kein Weg vorbei.
Wunderbar beschrieben. Was die Herausarbeitung und Herangehensweise an die einzelnen Champagner angeht, fühlte ich mich sofort in die Verkostung versetzt. Da weiß ich gar nicht, was ich da noch groß hinzufügen sollte. Bis auf den Rosé, den ich einen Ticken höher sehe, stehe ich hinter den VKNs vollstens.
Was ein schöner Abend!
Markus
Danke Markus – freut mich, wenn du das ähnlich siehst! War wirklich ein super Abend – schön, dasss du mit dabei warst!