Trinklaune im Wald – Teil 1 – Steinpilzbrand, der missing link?

Die These ist: Cocktails und Küche nähern sich immer mehr an. Cuisine Style allerorten. Basilikum, Salbei, Rosmarin & Co haben die Tresen längst erobert. Rote-Bete und Karottensaft lassen die Fans veganer Cocktails jubeln. Eine Prise Salz für mehr Umami? Und dazu die Speck-Infusion – passt perfekt zum Burger!

Allerdings gibt es auch noch ein paar Geheimnisse, welche die hohe Küche für sich behalten hat. Das sind die erdigen, grasigen Aromen des Waldes. Volker Seiberts Trüffel Sazerac und der Truffle Old Fashioned aus dem Canon in Seattle sind die Ausnahme. Als Beispiel für den Geschmacksvorsprung der Sterneküche soll folgendes Gericht dienen, dass die Trinklaunigen an einem legendären Abend in der wundervollen Wohnhalle des Vier Jahreszeiten Hotels an Hamburgs Außenalster genossen:

Kalbstatar mit Steinpilzeis
Artischockencrème, Steinpilzpapier und Würfelchen vom Holsteiner Cox

Wie soll jemals ein Cocktail dieses Gesamtkunstwerk erreichen? Diese Erdigkeit und Nussigkeit. Es erschien sinnlos. Dann fiel mir der „Im Wald und auf der Heide“ ein, ein Rezept von Markus Heinze, mit dem dieser die Liquid Competition gewann. Steinpilzbrand! Das könnte ein missing link zwischen Küche und Cocktail sein! Ich beschloss die Idee des Rezeptes aufzunehmen. Steinpilzbrand und Applejack in einer losen Variante des Diamondback. Hinzu kam Zimttinktur (Zimtstangen eine Woche in hochprozentigem Wodka eingelegt) und Angostura Bitters um die Schärfe und Süße einzufangen.

Reach for the Stars

4,5 cl Applejack

1,5 cl Steinpilzbrand

1cl Chartreuse Gelb

4ds Zimttinktur

1 ds Angostura Bitters

Auf viel Eis lange kalt rühren. im Stielglas servieren.

Der Cocktail ist nicht einfach zu trinken. Er ist weder besonders süß noch erfrischend. Vielmehr ist er sehr trocken, hocharomatisch und verträgt eine gute Portion Schmelzwasser. Die Fasstöne des Applejack geben das Rückgrat. Die Frische aber kommt vom Chartreuse. Warum aber gefällt er mir trotzdem? Weil ich sehr intensiv einzelnen Aromen nachschmecke und versuche das Zusammenspiel zu verstehen. Fast so, als wäre es ein Sterneessen.

Zum Kalbstartar tranken wir damals Dom Pérignon 1996 Oenothèque. Torben spricht hier schon davon, wie gut sich das Steinpilzeis und der Dom Pérignon, der zu 50% aus Chardonnay  besteht, zusammenfügten. Daraus entstand die zweite Drink-Idee:

Three Digits Cocktail

1,5 cl Williams Birne

2,25 cl Steinpilzbrand

6 cl trockenen Chardonnay

1bl Zuckersirup

Absinthe Rinse

Unbenannt-2

Angelehnt ist der Cocktail an den Starry Night von Jamie Boudreau, aber er ist weitaus trockener. Ein Barlöffel Zucker und der Absinth nehmen die Schärfe, ohne das Geschmacksprofil zu überdecken. Birne und Steinpilzbrand sind dominant, aber der Chardonnay gibt ein weinig-stabiles Rückgrat.

Und der Name…naja sagen wir so. Er ist dem Ort des Geschehens geschuldet und muss nicht nachvollzogen werden. Und im Übrigen, wer weiß schon woher Cocktails ihre Namen haben. Das Mysterium ist ja schließlich Teil der Faszination.

tikiwise

Beruflich wandelt er auf David A. Emburys Spuren. Dessen Sour-Verhältnis von 8:2:1 irritiert ihn jedoch immer noch. Seine Aufmerksamkeit gilt American Whiskey, Tequila, Mezcal und allerlei Nischenspirituosen, aber auch Rezepten jenseits der Standards.

2 Kommentare

  1. Sir-Mix-Enough

    Beides sehr interessante Rezepte. Was ist denn die Bezugsquelle für den Steinpilzbrand, also wer stellt sowas her? Ich musste gleich an einen bekannte Gin Manufaktur denken, die nach eigenen Angaben auch Brände für die Verwendung in der gehobenen Küche herstellt. Sie haben mehrere Reihen, die sich u. a. Gewürzen, Nadelhölzern, Zitrusfrüchten und eben auch Pilzen widmen. Leider sehr hochpreisig, da ich noch keinen dieser Brände probiert habe, kann ich aber auch nichts zur Qualität sagen.

    Mir persönlich gefiel die Idee des Bacon Old Fashioned ja sehr gut. Ich habe mich immer etwas gewundert, das dieses Rezept, ich glaube es stammt aus dem PDT, häufig so belächelt wurde. Stichwort Fettcocktail. Diese erweitere Fusion von Küche und Bar ist doch mehr als naheliegend.

  2. Ich habe den Brand von Liebl genommen, allerdings stellen auch Marder, Dirker und die Stählemühle (und viele andere) einen her.

    Fatwashing an sich ist eine gute Idee. Die Speck-Infusion hat diesen Gedanken aber auf eine neue Spitze getrieben und musste daher hier auch symbolisch herhalten. Generell finde ich aber, dass man mit einem Ardbeg oder Laphroaig ein ähnliches Ergebnis hinbekommt – ohne den carnivoren Aspekt zu betonen.

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