Die gesellschaftlichen Denkmuster in denen die Diskussion um den Alkoholkonsum geführt wird, kann man sehr schön anhand der Kontroverse zwischen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) und der Deutschen Weinakademie (DWA) deutlich machen. Ich zitiere zuerst aus einer Zusammenfassung eines Artikels von Gabriele Bartsch im „Jahrbuch Sucht 2011“, S. 236-251
„Bier, Wein und Spirituosen, pur oder gemischt, werden von vielen Menschen v. a. wegen ihrer psychoaktiven Wirkung und ihres Geschmacks geschätzt. Was individuell als „Genussgewinn“ betrachtet wird, steht in krassem Gegensatz zum Schädigungspotenzial der Wirkungssubstanz dieser Getränke, dem Ethanol, besser bekannt als Alkohol. … Da sich in den vergangenen zehn Jahren die negativen Folgen des Alkoholkonsums immer klarer herausgestellt haben, gerät die Alkoholindustrie, ähnlich wie schon zuvor die Tabakindustrie, in eine für sie unvorteilhafte Situation: Ihre Produkte und deren Konsum drohen in Verruf zu geraten. Die Hersteller befürchten in Folge dieser Entwicklung restriktivere Eingriffe der Gesetzgeber. Um dem entgegenzusteuern, kreieren die Produzenten alkoholhaltiger Getränke – und mit ihnen Marketing und Handel – ein positives Image ihrer Produkte und ihres Tuns. Zu diesem Zweck wiederholen sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und in allen ihnen zugänglichen Medien ihre immer selben Schlüsselbotschaften. Diese Schlüsselbotschaften widersprechen einer Fülle unabhängiger wissenschaftlicher Erkenntnisse. Ihr Ziel ist:
1. Die verzerrte und übertrieben positive Darstellung von Alkohol und Alkoholkonsum.
2. Die Reproduzierung des für die Alkoholindustrie günstigen gesellschaftlichen Bildes vom Alkoholgenuss.
3. Die Verfestigung des sorglosen und unkritischen Alkoholkonsums und damit Schaffung sicherer Absatzmärkte für ihre Produkte. Ihr Handeln auf allen Ebenen – Produktentwicklung, Marketing, Forschung, Lobbying – zeigt eine äußerst wirksame Alkoholpolitik pro Alkoholkonsum. Der von den Alkoholproduzenten stets im Munde geführte Einsatz für „maßvollen Konsum“ und ihre Angebote, Alkoholprävention zu unterstützen, können in diesem Lichte nicht als glaubwürdig angesehen werden. Im Gegenteil, „Präventionsprojekte“, die von der Alkoholindustrie gefördert werden, dienen ihr lediglich als Imageverbesserung.“
Soweit das Zitat. – Ich mag keine Menschen, Gruppen, Vereine, die nur ein Thema haben, die alles nur durch eine Linse betrachten und meinen, nun die Welt erklären zu können. Solche Binär-Denker, diese Schwarz-Weiß-Zeichner nennt man auch Ideologen. „Ideologien reduzieren die Wahrnehmungsfähigkeit und verkleistern die Kapillaren des Glücks.“ schrieb vor ein paar Jahren der Sänger Peter Horton. Er hat recht.
Die Antwort der Deutschen Weinakademie (DWA) kam prompt unter der Überschrift:
Schwarz und weiß und nichts dazwischen
„Mein Rückgrat meldet sich prompt. Im aktuellen Jahrbuch SUCHT der DHS, der Deutschen Hauptstelle für diesbezügliche Fragen, widerfährt dem DWA-Magazin Vinomed unfreiwillige Publicity. Unter dem vielversprechenden Titel „Was Sie schon immer über Alkohol wissen wollten… und die Hersteller Ihnen (nicht) gesagt haben“ werden zehn Botschaften der Alkohollobbyisten zerpflückt wie des Teufels zehn Gebote. Die gesamte Alkoholwirtschaft gäbe vor, den verantwortungsvollen Genuss zu fördern. Das Gegenteil sei Fakt. Man kommuniziere unverantwortliche positive Gesundheitseffekte, über Konsummengen schweige man sich aus …und und… Fakt ist, dass die DWA bereits vor über 15 Jahren Leitlinien zum verantwortungsvollen Konsum publizierte, und zwar mit Dosisangaben (die sogar die frühere Drogenbeauftragte akzeptierte), mit Aufforderung zu Punktnüchternheit, mit Gegenanzeigen – aber auch mit (belegbaren) positiven Wirkungen. Denn der berühmte Janus-Kopf hat nicht nur eine hässliche sondern auch eine hübsche Seite – ob das nun der DHS passt oder nicht.
Im Komplott mit der Werbewirtschaft, unfähigen Journalisten und unseriösen Wissenschaftlern streue man gezielt falsche Informationen, die ein Land von Säufern heranziehen wollen. Vor dem nächsten Rundumschlag sei den wissenschaftlichen DHS-Kompetenzen empfohlen, die in Vinomed immer korrekt zitierte weltweite Originalliteratur auf Herz und Nieren (und Gehirn) prüfen. Und weiter… Die Präventionsprogramme der Wirtschaft seien eine Flut von Feigenblättern. Mit Kampagnen zu Alkoholverzicht in der Schwangerschaft und am Steuer wolle die Industrie nur gutes Image – indirekt seien ihr alkoholgeschädigte Kinder und volltrunkene Fahranfänger egal. Welch ein Menschenbild. Nur schwarz und weiß – und nichts dazwischen. …“
Die hübsche Seite
Ich positioniere mich hier eindeutig auf Seiten der DWA. Der Schlüsselsatz lautet:
„Denn der berühmte Janus-Kopf [des Alkoholkonsums] hat nicht nur eine hässliche sondern auch eine hübsche Seite – ob das nun der DHS passt oder nicht.“
Eine Diskussion, die immer wieder zwischen den beiden Polen Sucht und Suff auf der einen Seite, moderater Konsum und gesundheitlicher Nutzen auf der anderen Seite geführt wird, ist aus meiner Sicht aber nicht zielführend, denn beide bedienen nur die Denkmuster des verqueren, verbissenen Gesundheitsdenkens, das mittlerweile den Charakter eines quasi-religiösen Kults annimmt.
Dazu im nächsten Jahr mehr unter der Überschrift: Guter Alkohol – Böser Alkohol: Die Gesundheitsreligion.
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