„Ich würde gern einen Blick auf die Karte werfen.“
„Wir haben keine Karte – aber ich empfehle Ihnen gern etwas. Was mögen Sie gern?“
Wir alle kennen diesen Dialog. Wer gerne in Bars unterwegs ist, konnte sich dem Trend zur kartenlosen Bar in den letzten Jahren nicht entziehen. Immer mehr Speakeasy, immer kleinere Karten – und irgendwann waren sie verschwunden.
Ich möchte an dieser Stelle bekennen: Mich nerven Bars ohne Karten. Und das aus mehreren Gründen.
Die Barkarte ist die Visitenkarte der Bar. Ich liebe es, in einer schönen Barkarte zu stöbern. Wie ist der Stil der Bar? Was wird angeboten? Was kenne ich nicht, was könnte mich reizen? Stattdessen ein Gespräch mit der Frage nach Vorlieben. Dagegen spricht an sich nichts, aber ich kenne meine Vorlieben. Vielleicht würde ich gerade deshalb nach Neuem suchen, nach Unbekanntem – nach einem Getränk, das mich reizt. Warum auch immer. Vor einiger Zeit probierte ich in der Lucky Liquor Company einen Drink mit Mezcal und Wassermelone, der mich irgendwie ansprach. Dabei ist Mezcal wirklich nicht mein Ding – der Drink war es auch nicht. Wie kalte Asche – eben mein Standardproblem mit Mezcal. Trotzdem wollte ich ihn probieren, er hat mir eine weitere Facette der Art, wie Drinks in dieser Bar gedacht werden, aufgezeigt. Und diesen Drink hätte ich nicht bestellt, wenn ich meinen Vorlieben gefolgt wäre. Man verlässt die ausgetretetenen Wege nicht, wenn man in seinem Leben schon ein paar Drinks mehr probiert hat und seine Komfortzone kennt, wenn man immer nur nach Vorlieben gefragt wird. Henry Ford formulierte: „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.“
Der Alchemyst sagt: „Auch Kunst möchte ich wählen. Suchen. Entdecken. Schrecklich ein Maler, der mich nach meinen Lieblingsfarben und Motiven fragt.“ Das bringt es gut auf den Punkt – mit einem Ein-Blick im Wortsinn kann man schon viel gewinnen. Ich möchte das Konzept einer Bar kennenlernen – das funktioniert ein Stück weit über das Interieur, primär aber doch über die Karte. Und all das entgeht mir bei einem Barbesuch, wenn es einfach keine Karte gibt.
Ein weiterer Aspekt – der meines Erachtens nicht ganz unbedeutend ist – ist der des Preissegments. Man wird in der Regel an Atmosphäre, Design und verwendeten Spirituosen den ungefähren Preisrahmen einer Bar erkennen können. Aber kostet mein Drink 9,50 € oder 16,00 €? Das ist ein Unterschied, den ich gerne kennen würde, bevor ich mich entscheide, in einer Bar ein paar weitere Drinks zu mir zu nehmen oder doch nach dem Zettel zu fragen und weiterzuziehen. Natürlich kann man den Barmann fragen, was der empfohlenen Drink kosten wird – aber wer tut das gern? „Ich nehme den Gimlet, wenn er unter 11,00 € kostet„? – kein guter Einstand für den Drink in der Bar. Und dementsprechend kann die Überraschung bei der Rechnung doch eine unerfreuliche sein.
Barkarten können wunderschön sein. Zum Stöbern, zum Versinken einladen – wie beispielsweise die Karte aus dem Kölner Seiberts, die eher ein Buch ist. Sie können auch das Spiel mit dem Betrachter spielen – Chinese Food Take Away – oder doch gute Drinks im Trick Dog? Nicht zu vergessen: Die noma-Style-Drinks im mittlerweile geschlossenen Gamsei – präsentiert auf der Papyrus-Karte, sortiert nach der ungefähren Basis. Oder die Barkarte der neuen Fairytale Bar in Berlin – erst kürzlich bei Mixology gesichtet.
Die Karte präsentiert das Konzept oft schon so gelungen – und das, ohne zehn Minuten mit dem Gast gesprochen zu haben.
Keine Frage – auch in Bars ohne Karten kann man einen tollen Abend verbringen! Ich spreche aus Erfahrung! Aber seinem Gast einen Eindruck in Stil und Preissegment der Bar zu vermitteln, das finde ich am Ende des Tages doch immer schöner. Und wie reizvoll ist es, nach einem fröhlichen Abend schon in Vorfreude auf den nächsten Besuch nach Hause zu gehen – denn auf der Karte gab es noch ein paar spannende Drinks, die ich heute nicht probiert habe…
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