Thomas Domenig: Blended Whiskey aus Amerika: einem Land, in dem die Grenzen zwischen Wodka und Whiskey fließend sind.

Liebe Wodka-, Whiskey- und Spirituosen-Freunde,

Trinklaune lädt ein zum groß angelegten Gedankenaustausch zum Thema Wodka. Ich vermute mal ganz stark, ich war nicht der Einzige, dem diese Ankündigung in Erstaunen versetzt hat. Bis vor kurzem war mir diese Plattform nicht wirklich verdächtig gewesen, ausgerechnet dem in der Mixologen-Szene so verrufenen Wodka eine eigene Beitragsserie zu widmen.

Die in den letzten Wochen von namhaften Kollegen aus der Getränkebranche verfassten Beiträge haben aber wohl nicht nur mich begeistert. Sofern wir uns weiterhin als echte Allrounder im Umgang mit dem lieben Alkohol bezeichnen wollen, dürfen wir uns daher auch mal wieder mit Stiefkind Wodka und seinen teilweise problematischen Randgebieten beschäftigen.

Also Manege frei für meinen bescheidenen Beitrag zum „Projekt: Vodka 2015“. Doch was sollte ich wirklich beisteuern können, wo meine Kernkompetenzen doch ganz woanders, vornehmlich im Wein und im Whiskey, liegen?

Die Antwort war nicht fern: Ich fand sie in meiner seit Jahresbeginn laufenden Auseinandersetzung mit der Arbeit an der 2. Auflage von meinem Bourbon Buch. Ein Bereich, den ich in der Erstauflage nämlich nur recht knapp abgehandelt hatte, waren die Blended Whiskeys aus Amerika.

Thomas Domenig

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Von einem globalen Standpunkt aus betrachtet, bleibt Blended Whiskey der mit Abstand meistproduzierte Whiskey-Stil, all den eindrucksvollen Verkaufserfolgen von Bourbon und Single Malt zum Trotz. (Der Einfachheit halber, habe ich mich bei diesem Artikel für die Schreibweise „Whiskey“ entschieden. Für all jene Textstellen, bei denen man eigentlich Whisky statt Whiskey hätte schreiben können/müssen/sollen, möchte ich mich an dieser Stelle gleich mal prophylaktisch bei allen Kanada-, Japan- oder Schottland-Enthusiasten entschuldigen.)

Natürlich findet man sie auch in Amerika: die Blends. Doch die Gesetzeslage ist für sie ganz anders als bei den gleichnamigen Erzeugnissen aus Europa oder dem benachbarten Kanada. Ein in Amerika produzierter Blended Whiskey muss – man möge mir bitte Glauben schenken – gerade mal 20 % Whiskey enthalten, um sich vollkommen legitim als ein solcher bezeichnen zu dürfen.

Der große Rest darf GNS sein. GNS – noch nie gehört? Dann liegt es vielleicht daran, dass die geschätzten Wodka-Handelsvertreter, die in den vorherigen Beiträgen zu Wort gekommen waren, nicht darauf zu sprechen gekommen sind bzw. wohl auch nicht die allergrößte Lust verspürt haben dürften, auf dieses Thema näher einzugehen, denn GNS steht schlicht und ergreifend für „Grain Neutral Spirit“.

Was hat das nun alles mit Wodka zu tun? Nun ja, das amerikanische TTB (Alcohol and Tobacco Tax and Trade Bureau) definiert Wodka wie folgt: „Neutral spirits [spirits distilled from any material at or above 95 % alcohol by volume (190 proof), and if bottled, bottled at not less than 40 % alcohol by volume (80 proof)] distilled or treated after distillation with charcoal or other materials so as to be without distinctive character, aroma, taste or color.“

Da ist es wieder, das ach so fiese Wort, das man in den galanten Werbesujets der Wodka-Firmen wohl eher weniger antreffen wird: neutral. Wirklich prickelnd klingt das ja nicht: neutral.

Klarerweise hat auch ein sogenannter Neutralalkohol einen Geschmack, doch bei so etwas wie Whiskey würde man als Konsument wohl etwas anderes erwarten, als einen hohen Anteil eines, per amerikanischer Defintion als charakter-, aroma-, geschmack- wie farblos verrufenen Getreidedestillats.

Kein Witz, alle gängigen Blended Whiskeys aus Amerika setzen sich aus einem Whiskey-Anteil von gerade mal 20-25 % und einem GNS-Anteil von 75-80 % zusammen. Und tatsächlich würde weder in Europa noch in Kanada ein solches Produkt als Whiskey vertrieben werden können, womit diese Obskurität rein dem amerikanischen Markt vorbehalten bleibt – gerne auch in der praktischen 1,75-Liter-Plastikflasche, von wegen Wertigkeit und so.

Man sollte in diesem Zusammenhang auf die zentralen Wesensmerkmale zu sprechen kommen, durch die sich ein frisch destillierter American Whiskey von handelsüblichem GNS unterscheiden mag. Einen der meines Erachtens wichtigsten findet man in den jeweiligen Destillationsobergrenzen. Während Bourbon, Rye, Wheat, Barley, Tennessee und Corn Whiskey allesamt auf höchstens 80 Vol.-% destilliert werden dürfen, gibt man bei GNS Vollgas und geht auf 95 Vol.-% und darüber hinaus.

Mit einer Destillation auf niedrigeren Alkohollevels lassen sich gemeinhin die Geschmacksstoffen des Ausgangsmaterials, der herangezogenen Hefekulturen, sowie im besten Fall auch so etwas wie Terroir und die Handschrift der Destillationsanlage und dessen Betreibers detailgetreuer in das Endprodukt überführen. Man spricht von Kongenern: Jenen chemischen Verbindungen, die sich für die Geschmacksausprägung eines jeden Alkohols als ausschlaggebend erweisen.

Kongener können positiv wirken, indem sie Aroma und Charakter liefern oder aber auch negativ im Falle von Fuseln und anderen unerwünschten Fehltönen. Sie sind der Grund, wieso verschiedene Destillationsmethoden unterschiedliche Resultate erbringen, indem nicht nur den Wasseranteil reduziert und giftige Stoffe wie Methanol abgetrennt, sondern auch hunderte von Kongenern mit übernommen bzw. entfernt werden.

Im Trennen sowie der bewussten Akzentuierung bestimmter Kongener liegt daher das wahre Handwerk eines versierten Brennmeisters und kumuliert im unverkennbaren Hausstil einer gut geführten Brennerei. Bei der Produktion von GNS fällt diese Handschrift nahezu weg, denn deren Anlagen sind ganz klar auf Effizienz, Wiederholbarkeit, Produktionsmaximierung und auf gar keinen Fall auf so etwas wie Geschmacksakzentuierung oder Ortstypizität ausgelegt.

Ein typischer Wodka enthält somit auch stets um ein Vielfaches weniger Kongener als ein Whiskey, weil Wodka (aber auch Gin) eben per Definition auf eine sehr hohe Alkoholgradation destilliert werden muss. Das bedeutet nicht automatisch, dass jeder Wodka ein identes Geschmacksprofil aufweisen oder nur fad-ethanolig schmecken müsse; der Einfluss des Grundmaterials, des Maischeansatzes, der Hefen und ganz besonders auch die Handschrift der Produktionsanlage sowie des Brennmeisters wird bei einer Destillation jenseits der 95 Vol.-% jedoch enorm reduziert.

Man solle es mir bitte nicht verübeln: Ich bin nun mal ein Whiskey-Liebhaber und habe mich für das Thema Wodka bislang aus eben diesen Gründen noch relativ wenig begeistern können. Trinklaune ist es zu verdanken, dass meine Neugier geweckt und ich nun, aus Ermangelung von legalen Erwerbsmöglichkeiten, meinen eigenen American Blended Whiskey fabriziert habe.

Selten war es einfacher einen Spirituosenstil in den eigenen vier Wänden nachzubauen: Man nehme vier Teile Wodka und ein Teil Straight American Whiskey und schon hat man das erreicht, was man von einem solchen Getränk zu erwarten hat.

Self Compound Blended Whiskey

Self Compound Blended Whiskey

Machen Sie es mir nach und bauen Sie sich Ihren eigenen Hausblend mit dem Bourbon, Corn oder Rye sowie natürlich dem Wodka Ihrer Wahl. Sie werden überrascht sein: Die Mischung ist gar nicht mal so banal, wie Sie vielleicht im ersten Ansatz gedacht haben.

Es ist nämlich der Whiskey, der trotz seines wesentlich geringeren Anteils den Geschmack vorgibt, während der Wodka für eine angenehme Abmilderung sorgt. Die intuitiv gewählte Kombination Grey Goose und Four Roses Small Batch passt jedenfalls ganz gut zusammen und im Nachklang schafft es sogar noch das spezifische Getreidearoma des Wodkas durchzuscheinen.

Ich muss zugeben: Ich habe mir relativ wenig erwartet, war dann aber überaus positiv überrascht. Durch die Wodka-Beigabe werden die Geschmacksausreißer des Whiskeys nach unten gedrückt, was zu einer Nivellierung der einzelnen Aromakomponenten führt. Ich finde es in diesem Sinne auch nicht falsch, von einem kastrierten Whiskey zu sprechen, womit sein praktischer Anwendungsbereich besser rein auf absolute Einsteiger und unverbesserliche Wirkungstrinker beschränkt bleiben sollte.

In diesem Sinne möchte ich mein Glas „Self Compound American Blended Whiskey“ erheben und, mit einem verschmitzten Augenzwinkern, einen Toast an meine geschätzten Wodka-Freunde aussprechen: Möge uns Europäern ein solches Getränk weiterhin erspart bleiben, auf dass sich die großen Firmen lieber auf die Produktion von feinem Wodka und edlem Whiskey konzentrieren. Zusammenpanschen können wir das Zeug danach immer noch ganz alleine.

PS: Damit ich es nicht gänzlich verschwiegen habe, es gibt in Amerika noch eine weitere abenteuerliche Kategorie mit der vielsagenden Bezeichnung „Spirit Whiskey“. Dieser muss zu mindestens 5 % aus Whiskey bestehen und der Rest kann GNS sein. Mehr dazu in der 2. Auflage von meinem Bourbon Buch. Prost Mahlzeit!

Thomas Domenig

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2 Kommentare

  1. SAnjay

    Interessanter Beitrag, danke dafür. Ein paar Fragen und eine Anmerkung dazu:
    F: Welche Mindestreife muss der Whiskeyanteil im Blended Whisky besitzen? Welche Whiskeysorten /Rohstoffe sind erlaubt/Pflicht? Gibt es Brands, die hierzulande bekannt sind?
    A: Die im Unterschied zu GNS von Dir als „Whiskey“ bezeichneten Rohbrände sind per Definition doch (noch) keine Whiskeys… Zumindest bei Bourbon und Rye ist eine Mindestreifedauer gesetzlich vorgesehen, damit die Brände den Titel Whiskey tragen dürfen… White Dog oder New Make trifft es da wohl besser, oder?

  2. Hallo Sanjay,

    Danke für deinen Kommentar. Das sind wichtige Fragen, die du da aufwirfst und mögen in der Eifer des Gefechts auch ein wenig untergegangen sein.

    Die Grundproblematik liegt dabei in unserem europäischen Verständnis von Whiskey, der per Definition mindestens drei Jahre in Fässern zu reifen hat. In Amerika gibt es für Whiskey ebenfalls eine Vorschrift, dass dieser in Holz reifen müsse, allerdings wird die Dauer erst durch den Zusatz ‚Straight‘ bestimmt. Selbst Bourbon und Rye haben per se keine Mindestreifedauer, auch wenn es vielerorts anders dargestellt wird.

    Um ein wenig der Verwirrung vorzuarbeiten, noch einmal eine Zusammenfassung, was durch die einzelnen Begrifflichkeiten eigentlich geregelt wird (rein auf den US-Markt bezogen; in Europa hat ein mit Whiskey gelabeltes Produkt, selbst wenn es aus den USA kommt, definitiv andere Kriterien zu erfüllen):

    a) Whiskey:
    * Getreidebasis
    * auf max. 95 Vol.-% destilliert
    * in Holz gelagert
    * mindestens 40 Vol.-% (bis auf die Ausnahme ‚Diluted Whiskey‘)

    b) Bourbon/Rye/Wheat/Barley:
    * min. 51 % Mais/Roggen/Weizen/Gerste
    * auf max. 80 Vol.-% destilliert
    * mit max. 62,5 Vol.-% ins Fass
    * Reifung in neuen, ausgekohlten Eichenholzfässern (genaue Dauer nicht definiert)

    c) Straight:
    * min. 2 Jahre gereift bei genauer Altersangabe, ansonsten min. 4 Jahre
    * keine Zusätze erlaubt (flavoring, coloring)
    * Mix aus verschiedenen Straight Whiskeys erlaubt (z.B.: Four Roses, Noah’s Mill)
    * außer bei unterschiedlichen Bundesstaaten (z.B.: High West Double Rye)

    Nun zu deinen Fragen:

    1) Die Mindestreife eines Blended Whiskeys liegt bei potentiell 10 Sekunden: rein ins Fass und gleich wieder hinaus, wenn man es zeitlich hinbekommt ;-), weil dann ist es ein Whiskey. In der Praxis sind’s aber ein paar wenige Monate für den Blended-Teil und eine entsprechend längere Lagerung für den Straight-Teil, damit sich dieser als Straight-Whiskey qualifiziert.

    2) Die enthaltenen Whiskey-Sorten haben min. 20 % Straight Whiskeys zu enthalten. Ob das jetzt ein Rye, ein Bourbon, ein Wheat oder ein Barley Whiskey ist, spielt keine Rolle, Hauptsache sie sind Straight, es wird aber wohl ein Bourbon, weil dieser von den Getreidepreisen am günstigsten herzustellen und auch am einfachsten am Sekundärmarkt zu erwerben ist.

    3) Der wohl bekannteste Brand ist Seagram’s 7 Crown von Diageo, einem der erfolgreichsten Massenbrands und in den Verkaufszahlen weit vor Bulleit gelegen. Weitere Marken wären hierzulande total unbekannte Sachen wie etwa von Beam Suntory (Beam’s Eight Star, Calvert Extra, Kessler), Sazerac (Fleischmann’s, Imperial, Old Thompson, unvm.) oder Heaven Hill (Kentucky Deluxe, Philadelphia).

    Wie gesagt, in anderen Ländern dürften diese Produkte definitiv nicht als Whiskey verkauft werden, weil sie etwa die europäischen oder kanadischen Kriterien dafür nicht erfüllen. Die Kategorie Blended Whiskey ist übrigens auf den ‚Pure Food and Drug Act‘ aus dem Jahr 1906 zurückzuführen und wurde durch die ‚Taft Decision‘ im Jahr 1909 ergänzt. Seitdem kann in Amerika sich leider sehr Vieles als Whiskey bezeichnen, was als politisches Zugeständnis an die zur damaligen Zeit vorherrschenden rectifiers zu verstehen ist.

    Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Thematik gibt’s dann in der 2. Auflage von meinem Buch, an der ich weiter hart arbeite, die aber noch ein paar Monate auf sich warten lassen wird. Ich hoffe, ich konnte dir die Fragen einigermaßen verständlich beantworten. Ansonsten bitte gerne noch einmal näher nachfragen.

    Gerade, dass Bourbon ohne Straight kein vorgeschriebenes Mindestalter habe, ist nämlich tatsächlich noch nicht überall angekommen. Es ist Aufgabe von uns „Whiskey-Educators“ dieses Wissen in die vielen Spelunken hinaus zu verbreiten. Umso schöner ist es, wenn so etwas über einen als Wodka-Projekt getarnten Trinklaune-Artikel geschieht ;-).

    Onlinequellen:

    http://chuckcowdery.blogspot.de/2013/09/four-roses-all-bourbon-blend.html
    http://chuckcowdery.blogspot.de/2013/03/in-praise-of-straight-its-not-what-you.html

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