London ist, was Innovationstempo und Vielschichtigkeit der Barlandschaft angeht, in Europa wohl nach wie vor an der absoluten Spitze einzuordnen. So viele Bars liefern extrem hohe Qualität und dabei vor allem Trinkfreude, Lebendigkeit und Unbeschwertheit, wie man es sich zuweilen auch in deutschen Spitzenbars wünscht.
Selbst unter den exzellenten Londoner Bars sticht das Nightjar hervor. Eine Bar, die Drink, Gäste“glas“ und Garnitur zu einem Gesamtkunstwerk macht, wie sonst vielleicht nur noch das Artesian. Drinks, die mit mit solch einem Aufwand produziert werden, dass selbst an einem Zweiertisch zeitgleiches Servieren der Getränke schwierig ist (was mitunter problematisch sein kann – wir mussten aber nie länger als zwei Minuten auf das zweite Getränk warten). Und nebenbei ist das Nightjar auch noch eine Bar, in der jeden Abend fantastischer Live-Jazz gespielt wird, sodass eine Baratmosphäre aufzukommen vermag, die der Komplexität der Getränke zum Trotz weit entfernt von verkopftem Trinken ist. Livemusik ist immer großartig und die Kombination mit wirklich guten (oder absolut herausragenden) Getränken sucht man wirklich sehr lange.
Bereits das Entrée zur Bar (Türsteher, per Kopfhörer in den im Keller liegenden Barbereich verbunden, um die neuen Gäste (kaum eine Chance ohne Reservierung) anzukündigen, sodass man unten empfangen und zum Platz geleitet werden kann) ist ungewöhnlich, aber sehr freundlich. Der Barraum selbst ist dunkel (ich liebe dunkle Bars!) und warm. Auffällig sind die Barstühle, die es zwar gibt, die aber nicht genutzt bzw. vergeben werden. Für mich etwas ungewöhnlich, da die Bar im Regelfall Herzstück und Zentrum der Kommunikation ist. Doch hinter der Bar werden mit großer Akribie die komplexen Getränke zubereitet, selbst beim Verabschieden ist kaum Zeit für Blickkontakt mit dem Gast. Bedauerlich, aber vermutlich dem Konzept geschuldet. Drinks wie aus der Küche.
Die Kommunikation findet somit mit dem Serviceteam statt, das herzlich, offen und freundlich ist und die Komplexität der Karte gut einzuschätzen vermag. Zu jedem Drink kann die Crew viel erzählen und tatkräftig beraten, während emsig Wasser nachgeschenkt und frisches Salzpopcorn serviert wird.
Die erste Runde Drinks besteht aus einem hervorragenden „Don’t give up the ship“, einem kräftigen Gin-Drink mit solidem Kräuterton, serviert mit geflämmten Kakaosplittern am Boden des Glases, die den Drink olfaktorisch bereichern. Dieser Teil des Konzepts taucht immer wieder auf. Der zweite Drink am Tisch entpuppt sich als absolutes Juwel. Der „Punch a la Burroughs“ auf Tequila-Basis mit Physalis, einem Sirup aus kandierter Ananas und Baobab, Limette, Orangenblütenlikör, Bergamot Bitters, grünem Tee und Champagner schmeckt rund und stimmig, dabei jedoch immens vielschichtig und komplex. Absolut hervorragend. „Dezent“ serviert in einer Baobab-Frucht – herausragend!
Ebenfalls weit ab von allem Gewohnten kommt der „Tea in St. James’s“ daher. Eine fast abstrus anmutende Mischung aus Gin No. 3, Cider-Glühwein, Bergamotte-Likör, Zitrone, Honig, Grenadine und einem Sahne-Tee-Espuma mit Schokolade greift das Tee-Thema perfekt auf, mit dezentem Augenzwinkern auf Earl Grey. In einer Teetasse serviert, dazu gibt noch ein Gurkenstück eine feine Frische. Eine fantastische Komposition, die von immensem Gespür für die Feinjustierung der Drinks zeugt. Absolut beeindruckend.
Da wir das Nightjar begeistert verlassen, beschließen wir, während unseres London-Trips noch einmal wiederzukommen. Und somit kommen wir einige Tage später erneut in den Genuss der fantastischen Drinks. Ich halte mich dieses Mal an Drinks aus der Kategorie „Nightjar Signatures“ und beginne mit dem „Name of the Samurai“ . Nikka from the Barrel als Popcorn-Tee-Infusion, Limette, Sake, Umeboshi-Galgant-Likör und Mirin-Reis-Sirup (allein diese Zutatenliste lässt mit viel Respekt auf das Mise en place blicken…) werden in einem japanischen Keramikbecher seviert. Beim Servieren wird dazu ein quadratisches Holzkästchen auf den Tisch gestellt, in dem Bambus, Muskatblüte und Lavendel brennen. Der Becher wird hineingesetzt, das Feuer erlischt. Bei jedem Anhaben des Bechers werden erneut die ätherisch duftenden Aromen freigesetzt. Absolut brillant.
Ein letzter Drink aus dem Nightjar-Portfolio, der mein Favorit unserer Abende war, ist der „Beyond the Sea„. Gin Mare als Oyster Leaf Infusion, Solera Sherry Blend, Grapefruit, Yuzu Bitters und Seegras-Air. Eine relativ reduzierte Zutatenliste, die einen fantastischen Drink ergibt. Die Seegras-Air übernimmt die Funktion einer Zeste und erfüllt diese Aufgabe mit Bravour. Die Air ist stabil und gibt einen leicht salzig-meerige Note über den Drink, die der Kombination Gin-Sherry-Grapefruit noch etwas mehr Komplexität verleiht. Sehr gelungen ist die Verwendung von Grapefruit und Yuzu Bitters, da ein prägnanter Zitruston zwar generiert wird, dieser aber nicht ins plumpe Säuerliche abgleitet. Herrlich schmecken dazu das knackig-salzige Seegras und die herausragenden Oliven. Schlicht und ergreifend perfekt.
Nightjar-Cocktails lassen sich kaum nachmixen. Gut so – diese Bar ist ein Gesamtkunstwerk, wie es wahrscheinlich nicht allzu viele gibt. Wenn man in London ist, sollte man sich dieses Juwel auf keinen Fall entgehen lassen!
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