Die Welt der Cocktails ist bunt!
Dies war sie bereits zu ihren Anfängen, wie ein Blick in die Werke von Jerry Thomas und Harry Johnson zeigt. Sowohl im Bartenders Guide von Thomas als auch im Handbuch für Bartender von Johnson, wird die Getränkekategorie der Pousse Cafés erwähnt. Dabei handelt es sich um einen aus mehreren Likörsorten vorsichtig geschichteten Drink, welcher mit „Vorliebe am Schlusse grösserer Diners“ zum bzw. nach dem Kaffee getrunken wurde. Dies erklärt auch den Name Pousse Café, welcher sich mit „den Kaffee hineintreiben/hinunterstoßen“ übersetzten lässt.

Pousse Café / Plate No. 6 (Harry Johnson)
Pousse Cafés existieren auch heute noch, auch wenn sie unter diesem Namen nicht mehr allzu bekannt sind. Mittlerweile werden sie häufig als Shooter wie z.B. dem B52 serviert und entgegen ihrer ursprünglichen Bestimmung hastig hinuntergestürzt. Früher galt es sich vorsichtig durch die einzelnen Farb- und Geschmacksschichten zu trinken, womit man auch dem Bartender Respekt zollte, welcher häufig viel Zeit und Geschicklichkeit in die Herstellung der bis zu siebenlagigen Drinks investierte.
Die Ursprünge des Pousse Cafés liegen in Frankreich, wo er als Lieblingsgetränk der Damenwelt galt. Allerdings entwickelten auch zahlreiche andere Nationen eigenen Varianten dieses vielseitigen Drinks. Eine (vermutlich) in Polen entwickelte Variante ist der Polski Pousse Café, welcher auch als „Golden Slipper“ bekannt wurde.
Der Polski Pousse Café besteht aus folgenden Zutaten:
- 1,5 cl Chartreuse Jaune
- 1 kleines Eigelb
- 3 cl Danziger Goldwasser
Zur Zubereitung wird zuerst der gelbe Chartreuse in ein Glas gefüllt. Anschließend muss mit größter Vorsicht das rohe Eigelb auf diesen gelegt werden, welches auf keinen Fall beschädigt werden darf. Zum Abschluss lässt man das Danziger Goldwasser über einen Barlöffel vorsichtig in das Glas laufen ohne dabei die Schichten zu vermischen oder das Eigelb zu verletzen.

Polski Pousse Café
Für moderne Barflys mögen die ersten Schlücke dieses Drinks aufgrund der massiven Süße des Goldwassers etwas gewöhnungsbedürftig sein. Dies lässt sich jedoch durch eine Variante von Jason Lograsso aus dem Bourbon & Branch, San Franisco umgehen, welcher seinem „Improved Polski Pousse Café“ noch eine dünne Schicht aus Absinthe hinzufügt und den ersten Geschmackseindruck somit angenehm auffrischt.
Nach 2-3 Schlücken erreicht man schließlich die Grenzschicht zwischen Goldwasser und Chartreuse, deren Mischung einen kräuterig-süßen Flirt mit den Geschmacksknospen am Gaumen eingeht. Mit jedem folgenden Schluck nähert sich nun allerdings auch unweigerlich das rohe Eigelb. Dessen Verwendung in Bars wird seit mehreren Jahren konträr diskutiert und auch wir haben uns bereits ausführlich mit dieser Thematik befasst. Die Verwendung von roheihaltigen Lebensmitteln in Gaststätten ist zwar grundsätzlich erlaubt, allerdings steigt auch mit jedem Tag der Aufbewahrung das Risiko an einer Salmonelleninfektion zu erkranken. Auch wenn dieses Risiko überschaubar ist, so ist die Gefahr real und man sollte sich diesen oder ähnliche Drinks nur von einem Bartender servieren lassen, welchem man hundertprozentig vertraut.
Wer einen solchen Bartender kennt oder sich an der heimischen Cocktailbar um möglichst legefrische und hygienisch gelagerte Eier kümmert, der wird mit einem intensiven Geschmackserlebnis belohnt. Der Alkohol sorgt nämlich für eine Denaturierung der im Eigelb enthaltenen Proteine, so dass sich die äußere Schicht verfestigt und eine Struktur annimmt, welche mit einem weichgekochten Frühstücksei vergleichbar ist.
Im Mund platzt das Eigelb dann schließlich ähnlich einer Kaviarperle auf und vermischt sich mit den restlichen Zutaten. Eine ungewöhnliche, aber spannende kulinarische Erfahrung.
Kein Drink den man jeden Tag braucht, wer sich jedoch für historische Cocktailrezepte interessiert, der sollte dem Polski Pousse Café eine Chance geben. Falls einem der Geschmack allerdings doch nicht ganz zusagt, so sollte man sich den Kaffee sicherheitshalber für danach aufheben.
„Kein Drink den man jeden Tag braucht“
Wer weiß? Es gab ja berühmte Filmpersonen, die jeden Morgen einen „Amber Moon“ tranken (nicht, dass es sie wirklich lang überlebt hätten)…