
aus „Silent Pain: Stiller Schmerz“ von Jasmin Kempter (ISBN-13: 978-3738604658)
Ist Alkohol nur ein Geschmacksträger, ein Reizstoff, der kribbelt, kratzt, der brennend scharf und wärmend seine Wirkung tut oder darüber hinaus doch ein eigenständiger Aromastoff? Wenn dem so wäre, müssten wir uns dann nicht bei verschiedenen Getränken insbesondere bei Mixgetränken wie Cocktails die Frage stellen nach der rechten Alkoholkonzentration? Gäbe es dann nicht, wie bei anderen Aromastoffen auch, ein zu viel und ein zu wenig?
Zuwenig und zuviel ist beides ein Verdruß;
so fehl ist überm Ziel wie unterm Ziel ein Schuß.
Zuwenig und zuviel ist gleich sehr unvollkommen;
im ernst ist und im Spiel das rechte Maß willkommen.
von dem deutschen Dichter Friedrich Rückert (1788 – 1866)
Innerhalb einer sehr interessanten Studie im Fachbereich Lebensmittelchemie der Universität Potsdam unter dem Titel “Alkohol-Perzeption – Untersuchungen zur Chemorezeption von Ethanol“ (ISBN 978-3-8386-2349-8) kam es zu folgendem Test: der damalige Diplomand und heute promovierte Lebensmittelchemiker Dr. Stephan Hoyer experimentierte mit alkoholfreiem Wein. Grundlage dieser Getränkegruppe ist normal ausgebauter Wein, dem im nachherein Alkohol (z.B. durch Destillation, Rektifikation, Osmose) entzogen wurde. Diesen alkoholfreien Wein versetzte er mit verschiedenen Dosen reinen Alkohols aus dem Laborbedarf. So erhielt er 5 Weinproben mit unterschiedlichem Alkoholgehalt in den Intensitäten alkoholfrei, 3%, 6%, 12% und 18% Vol. Die Proben wurden in einer ausgeklügelten Versuchsanordnung von einer Anzahl Probanden in Bezug auf Geruch, Geschmack, Mundgefühl und den Nachgeschmack (Abgang) bewertet. Die Auswertung zeigte, dass mit steigendem Alkoholgehalt vor allem die Intensitäten für weinig/alkoholisch (Geschmack und Nachgeschmack), aber auch (wenig überraschend) für die trigeminalen Reize stechend/beißend und wärmend deutlich zunahmen. In der graphischen Aufarbeitung der Ergebnisse „ist ein Rückgang der Beschreibung „fruchtig“ mit steigender Konzentration sichtbar. „Der Einfluss von Ethanol in Wein ist nicht nur trigeminal, sondern auch olfaktorisch nachweisbar.“ befindet Hoyer.
Noch interessanter ist es sich den Aromawerten von Wein zuzuwenden. Ein Aroma kann mittels Aromawerten beschrieben werden. Ein hoher Aromawert einer Substanz charakterisiert einen starken Einfluss auf das Aroma. Wichtige Ester-Aromastoffe im 12%igen Weißwein haben Aromawerte von 16,5 (Ethyl-hexanoat) bzw. 6,25 (3- Methylbutylacetat). Der Aromawert von Alkohol in 12%igen Weinen beträgt aber 106! „Ethanol trägt also wesentlich zum Aroma von Weißwein bei.“ resümiert Stephan Hoyer. – Halten wir also noch einmal fest: Alkohol ist sehr wohl ein potenter Aromastoff und im Wein vielleicht sogar der Wichtigste.
Aufschlussreich fanden wir auch die Rangfolgenprüfung bei der die Probanden die verschiedenen Weinproben nach Rangfolge (von Platz 5 = schlechteste Probe bis Platz 1 = beste Probe) anordnen sollten. Am schlechtesten schnitt (und das ist wieder keine Überraschung) die alkoholfreie Weinprobe ab. Am besten und zwar mit deutlichem Abstand die 12%ige Weinprobe. Mehr dazu im dritten Teil von „Der Geschmack von Alkohol“, in dem wir uns dem Geschmacksprofil von Alkohol zuwenden.
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