Der Speakeasy-Trend scheint mir mittlerweile schon wieder vorbei zu sein. Die moderne Bar braucht die zusätzliche Aufmerksamkeit um strenge Reservierungslisten und versteckte Türen nicht mehr, sie ist längst in der genießenden Mitte angekommen. Dennoch gibt es in New York einige der Speakeasy-Schwergewichte, die man sich nicht entgehen lassen darf.
Bar Nr. 1 ist das Attaboy, der Nachfolger des legendären Milk and Honey von Sasha Petraske, dessen Bedeutung für die Revitalisierung der klassischen Bar und des Speakeasy wohl kaum zu überschätzen ist. Allein darum war diese Bar gesetzt.
Wie so oft bei Speakeasys gilt: Wer es nicht kennt, wird es nicht finden. Südlich des East Village findet sich eine Tür, gekennzeichnet mit den Buchstaben AB.

Attaboy
Wir klingeln und zügig wird geöffnet. Nachdem sich der Barmann mehrfach versichert hat, dass wir wirklich zu zweit bleiben und auf keinen Fall mehr jemanden erwarten, werden wir hereingebeten. Obwohl wir auf einen frühen Aperitif hier sind – die Bar hat erst vor einer halben Stunde geöffnet – sind alle Plätze an der Bar belegt, sodass wir an der Stirnseite des Tresens im Stehen den ersten Drink bekommen. Eine Karte gibt es nicht, wir werden nach unseren Vorlieben und der Laune gefragt und bekommen zwei wunderbar passende Cocktails.
Bemerkenswert ist der Umgang mit Eis: Es gibt nur große, klare Würfel, die in rauen Mengen in einer Kühltruhe liegen. Der Barmann nimmt für jeden Drink einen Würfel und klopft diesen mit einem Ice pick in die entsprechende Form. In grobe Stücke zum Schütteln, mit abgeschlagenen Kanten, damit er in den Tumbler passt oder als cracked Ice für einen Julep.
Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Mein zweiter Drink (mittlerweile sitzen wir am Tresen) ist ein Perfect Gentleman – serviert auf einem großen, herrlichen Eisblock. Der Drink besteht aus Bourbon, italienischem Wermut, einer Campari-Alternative und Sherry. Ich hatte nach einem Drink im Boulevardier-Stil gefragt und der Perfect Gentleman passt wie die Faust aufs Auge. Er wird getragen vom kräftigen Aroma des Bourbon und spielt die Klaviatur der klassisch-kräftigen Aromen in Perfektion.

Perfect Gentleman
Es ist mittlerweile ca. 20.00 Uhr und die Bar wird zunehmend voller. Fantastische Musik läuft im Hintergrund, Menschen sprechen, die Bartender erhöhen das Tempo. Eis knackt, Flaschen werden aus den Speedracks gezogen, ein Rad greift ins andere. Es sind diese Momente, in denen man völlig in einer Bar versinkt. Sich aus dieser dunklen, angenehmen und schon ein wenig Geschichte atmenden Bar zurückzuziehen, fällt wirklich schwer.
Wie viele andere Bars in New York auch ist das Attaboy auf eine unaufgeregte Art hervorragend. Die Menschen kommen sehr zielgerichtet her, genießen Atmosphäre, Drinks und Musik. Niemand sucht eine Show oder einen Laufsteg. Ganz wunderbar. Und aus der Parallelwelt zurückkatapultiert auf die betriebsamen Straßen New Yorks tut sich eine Sichtachse auf das Chrysler Building, den schönsten aller Wolkenkrater, auf, der aus der Entfernung zu grüßen scheint. Perfekt.
König der Speakeasys
Man kann sagen, was man will: Jim Meehans PDT ist unbestritten eine Bar von absoluter Weltgeltung.
Das Entrée durch die Telefonzelle bei Crif Dogs: Kennt jeder. Und dennoch ist es ein Erlebnis, wenn man selbst die faltbare Tür nach innen drückt, den roten Hörer in die Hand nimmt und die „1“ wählt. Kurz darauf öffnet sich die Tür in der Wand und der erste Blick in die Bar kann erhascht werden. Wir werden ausgesprochen freundlich empfangen, doch die Bar ist voll, sodass wir unsere Nummer hinterlassen und auf einen sehr guten Drink ins Pouring Ribbons gehen. An dieser Stelle sei angemerkt: Die schiere Menge an erstklassigen Bars im East Village ist fantastisch! In einem Bereich, der in ca. fünfzehn Minuten zu Fuß abzulaufen ist, findet man eine zweistellige Anzahl herausragender Bars: PDT, Death & Co, Amor y Amargo, Pouring Ribbons, Mace, Suffolk Arms, Attaboy, Mayahuel, Angel’s Share… Viele Städte wären glücklich, nur einen solchen Hochkaräter in den eigenen Grenzen zu wissen.
Wir werden ziemlich genau nach der angekündigten halben Stunde angerufen und betreten nach einem kurzen Fußweg die Bar. Zwei Plätze an der Ecke des Tresens, direkt unter den Klauen eines imposanten ausgestopften Bären, sind frei. Unsere Plätze bieten das volle Programm: Der elegante Arbeitsstil der Bartenderin ist beeindruckend, man hat die ganze Bar im Blick und kommt dennoch schnell mit den Nachbarn am Tresen ins Gespräch, die so begeistert von uns in den Fängen des Bären sind, dass wir direkt in einer Instagram-Photostory landen. Auch das ist New York. Man kommt ungezwungen und locker ins Gespräch, verbringt eine gute Zeit zusammen und geht wieder seiner Wege.
Der Blick in die Cocktailkarte sorgt nun für ernsthafte Probleme. Ähnlich wie im Death and Co lesen sich so viele Drinks so außerordentlich spannend, dass die Wahl schwer fällt. Am Ende wird es ein That Precious Stone Fruit (wenn ich den Namen noch richtig erinnere…): Wild Turkey 101, Reisetbauer Pflaume, Pflaumenpüree, Zitrone und Zucker. Ein sehr gelungenes Sour-Konzept, absolut köstlich.

That Precious Stone Fruit
Wir saugen die Atmosphäre in dieser am Ende eben doch sehr besonderen Bar auf. Der Service ist ausgesprochen herzlich und die Crif Dogs Hot Dogs, die auch in der Bar serviert werden, sind das perfekte Barfood. Heiß, frisch, köstlich. Wir lassen nach einem längeren Gespräch mit der Bartenderin den Abend bei einem Glas Champagner ausklingen. Gastgebertum trifft einen legendären Ort, köstliche Genüsse treffen eine Atmosphäre, die man nicht vergisst. Perfektion – danke, PDT!

Crif Dogs
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