„Wir wollen keine Champagner für Experten machen. Wir machen Champagner für alle.“
– Benoît Gouez, Kellermeister bei Moët & Chandon (frei aus dem Englischen übersetzt)
Champagner für alle machen – oder generell ein Getränk. Darf man das heute noch?
Der Vielklang der Verkaufsargumente, die allerorten aus Newslettern, Pressemitteilungen oder Slogans schallen, scheint das Gegenteil zu beweisen. „It’s not for everyone“ – der Claim von Hendrick’s Gin trifft ins Schwarze. Abgrenzung wird immer wichtiger, gerade in übersättigten Marktumfeldern. Immer spezieller, immer abseitiger, mitunter immer abstruser: Gin, der Parallelen zur Wurstherstellung aufweist. Das hat uns wirklich gefehlt.
Aber zurück zum Champagner. Auch hier ist es wichtig, nicht so zu schmecken wie alle anderen. Dinge anders zu machen, sich zu spezialisieren. Über Einzellage, Jahrgang, Ausbau oder Unterwasserlagerung – die strengen gesetzlichen Vorschriften sorgen zwar dafür, dass es weniger Wildwuchs als beim Gin gibt, aber das Streben nach Abgrenzung, nach Andersartigkeit ist ebenfalls zu erkennen. Das geht auf dem klassischen Maison-Weg über Packaging, Preis und Prestige Cuvées wie auch auf dem Winzerweg über Individualität, rare Einzellagen und die Annäherung an Limits.
Für Moët & Chandon, das größte Champagnerhaus mit einer Produktion von ca. 30. Mio. Flaschen jährlich, ist natürlich klar, dass Spezialisierung und Nischenbildung nicht der Weg der Wahl sein kann. Wer viel erzeugt, muss viel verkaufen. Und darum auch viele Gaumen ansprechen. Dementsprechend erfrischend empfand ich Gouez‘ Aussage, man mache bei Moët Weine für alle. Der klassische Moët Imperial zeigt das, glattpoliert, zugänglich, fruchtig, ohne kräftige Säure. Das eckt nicht an, das ist gefällig, das bleibt nicht lange im Kopf. Muss es aber auch nicht.
Obwohl er mengenmäßig die wichtigste Säule im Moët-Portfolio ist, hört es beim Basis-Brut natürlich nicht auf und seit Gouez 2005 den Posten des Chef de cave übernommen hat, hat er sich die Verbesserung der Qualität auf ganzer Linie auf die Fahnen geschrieben. Dies wird auch an reduzierter Dosage und mehr Transparenz auf dem Label (Degorgement, Zusammenstellung der Cuvée) deutlich.
Wie das im Ergebnis aussieht, präsentierte Gouez kürzlich in Hamburg. Anlass war die Präsentation des neuen Grand Vintage 2009. Es wurden aber auch noch weitere Cuvées ausgeschenkt.
Also, champagne for the masses? Wir werden sehen!

Moët & Chandon Grand Vintage 2009
Moët & Chandon Grand Vintage 2009
50 % Pinot Noir, 36 % Chardonnay, 14 % Pinot Meunier; Dosage: 5 gr. / L, Degorgement 07 / 2017
Nase:
Vanille, Toast und Haselnuss. Zitrone und Bergamotte sowie viel Aprikose. Ziemlich rund, ziemlich einladend.
Gaumen:
Eine gute Struktur sowie eine solide Frische fallen zuerst auf. Der Wein hat einen schönen Trinkfluss und die Süße-Säure-Balance ist absolut stimmig. Ein ziemlich trinkfreudiger Champagner, der sich in großen Gläsern sichtlich wohlfühlt. Insgesamt bleibt er eher auf der leichteren, fruchtigen Seite, auch hier wieder mit Aprikosen- und Zitrusaromatik. Trotz des hohen Pinot Noir-Anteils fehlen dunklere Aromenwelten vollständig, alles ist eher im hellen, sommerlich-frischen Bereich angesiedelt.
Für Gouez ist der Vintage immer „Freestyle“, nachdem die Pflicht mit dem sehr konstant schmeckenden Brut ohne Jahrgang absolviert wurde. Somit sind Unterschiede von Jahr zu Jahr erwünscht. Er beschreibt 2009 als absolut langweilige Ernte – alles lief rund. Keine großen Probleme, weder mit Feuchtigkeit noch mit Hagel oder Temperaturen.
Der Champagner aus diesem Jahr wartet mit einer gelungenen Mischung aus Leichtigkeit und Präsenz auf. Er ist trinkfreudig und ruft immer nach dem nächsten Schluck.
Weiter ging es mit dem ausgesprochen guten Champagnerjahr 2002 und einer frisch degorgierten Abfüllung aus der Grand Vintage Collection.

Moët & Chandon Grand Vintage Collection 2002
Moët & Chandon Grand Vintage Collection 2002
51 % Chardonnay, 26 % Pinot Noir, 23 % Pinot Meunier; Dosage: 5,5 gr. / L, Degorgement 01 / 2017
Nase:
Im direkten Vergleich wird sofort eine deutlich höhere Komplexität als beim vorher verkosteten 2009er deutlich, die sicherlich einerseits dem besseren Jahr und andererseits der ausgesprochen langen Verweildauer auf der Feinhefe (ca. 14 Jahre) geschuldet ist. Honig sowie viel Schmelz, es ist viel zu entdecken, aber trotzdem bleibt der Wein – hier beginnt sich ein Hausstil abzuzeichnen – auf der duftig-schwebend-leichten Seite. Fast limonadig-frisch (im positivsten Sinne) und zugänglich.
Gaumen:
Auch hier sehr einladend und mit einer wunderbaren Süße-Säure-Balance ausgestattet. Zu Beginn ist die Säure durchaus zupackend und von Zitrustönen dominiert, aber sie wird schnell mit einem Lasso aus Honig, Schmelz und Cremigkeit eingefangen. Der Wein profitiert vom Sauerstoffkontakt, die Perlage ist sehr lebendig. Bergamotte ist auch hier zu schmecken, der Champagner ist in diesem Zustand sehr fertig und mit viel Vergnügen trinkbar.
Mit einem letzten großen Schritt geht es wiederum zurück, in ein weiteres exzellentes Champagnerjahr: 1990.
Die Grand Vintage Collection wird aus der Magnum serviert, das Degorgement ist jedoch lange nicht so frisch wie beim 2002er. Dies liegt daran, dass man Mitte der 1990er bei Moët auf andere, weniger sauerstoffdurchlässige Kronkorken bei der Lagerung sur lattes umgestiegen ist. Die vorher genutzten Kronkorken mit Korkunterlage ließen mehr Sauerstoff passieren, sodass Benoît Gouez anwies, alle alten Flaschen zu degorgieren, um die Weine länger lebendig zu halten.

Moët & Chandon Grand Vintage Collection 1990 Magnum
Moët & Chandon Grand Vintage Collection 1990 Magnum
50 % Chardonnay, 40 % Pinot Noir, 10 % Pinot Meunier; Dosage: 7,5 gr. / L, Degorgement 2004
Nase:
Eine heftige Konzentration schlägt aus dem großen Glas entgegen, kräftig einreduzierte Hummerbisque, Bergamotte und Zitronenschale. Eine wilde Mischung, die sich bei diesem in Würde gealterten Wein aus der Magnum mit etwas Luft harmonisiert, sodass der Wein immer runder wird. Er bleibt aber aromatisch anspruchsvoll: Zedernholz und Zigarrenkiste, dazu ein kräftiger Honigton und verbranntes Schießpulver. Spannend!
Gaumen:
Auch am Gaumen ist eine hohe Intensität sofort zu schmecken. Kräftig in der Säure, die deutlich höhere Dosage merkt man nicht, sie ist eingebettet, der Wein ist stimmig. Im Vergleich zu den beiden Weinen davor ein eindeutig erwachsener, etwas dunklerer Champagner. Er wird von einer sehr stabilen Säure getragen, die den Wein seriös und ernsthaft erscheinen lässt. Mir gefällt er sehr!
Dieser Wein ist stark von seiner langen Lagerung, auf der Hefe wie nach dem Degorgement, geprägt. Und sicher auch in Anbetracht des erhöhten Sauerstoffkontaktes während der Produktion durchaus anfällig für Flaschenvarianz. Eine zweite Magnum erwies sich als nicht mehr ganz so trinkfreudig, eine normale Flasche wäre wohl noch deutlich weiter gereift. Wie weit Benoît Gouez‘ Begeisterung für das Magnumformat geht, wird im Verlauf des Abends gleich an mehreren Stellen deutlich. Irgendwann geht er dazu über, die Normalflasche nur noch als „half magnum“ zu bezeichnen. Eine Einstellung, die wir Trinklaunigen definitiv teilen!
Also, macht Moët „Champagne for the masses“, frage ich mich, als der Abend bei einem Glas des erneut formidablen MCIII ausklingt. Ja, durchaus, wenn man von Extremweinen wie dem 1990er mit sehr langer Reife einmal absieht. Aber sind das automatisch Champagner ohne Profil? Keineswegs.
Es gilt unser Disclaimer: Wir schreiben nur über das, was wir mögen! Trinklaune.de war zu Gast im Hotel Fontenay. Daran geknüpft war weder die Verpflichtung zur Berichterstattung noch eine Einflussnahme auf den Inhalt des Artikels.
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