Santa Teresa Rum. Mut zur Kante.

Tasting-Einladungen der Industrie begegne ich über die Jahre mit zunehmender Skepsis. Es ist der lähmende Mix aus branchenüblichem Marketingschnack und Lobhudelei sowie dem teils zwar amüsanten, aber zumeist eher vergeblichen Versuch, vermeintliche Lifestyletrends zu vereinnahmen, der meine Erwartungshaltung an Produktpräsentationen sukzessive sinken ließ.

Doch wie sagt der Volksmund so weise: Keine Erwartungen bedeutet auch keine Enttäuschungen. Umso schöner wird es, wenn fast vergessene Begeisterung wieder entfacht wird. So geschehen meinerseits bei der vergangenen Roadshow von Santa Teresa Rum, der seit Januar 2017 abseits des Heimatmarktes Venezuela vom Kategoriegiganten Bacardi global vermarktet wird. Randnotiz: Nach der 2015er Akquisition von Banks Rum ein weiterer Schritt der Fledermaus, das vielversprechende Rum-Premiumsegment fester in den eigenen Krallen zu halten.

Doch was war nun an diesem Santa Teresa Tasting besonders? Kurzum: Es brachte mich zum Nachdenken. Beispielsweise darüber, ob diesem Rum tatsächlich kein Zucker zugesetzt wurde (unabhängig zertifizierte Zuckerangaben wären meines Erachtens ein Muss, um Premium-Rum langfristig aus der Identitätskrise zu hieven). Oder ob gelagerter Rum wirklich im Cocktail Santa Marta (Feine Sache: Daiquiri + ein Hauch Kirschwasser) benutzt werden muss und man nicht lieber bei weißem Rum bleiben sollte – insbesondere als Rum im Hause Bacardi. Auch ob das meines Erachtens gelungene neue Packaging die globale Leadagentur von Bacardi oder das noch selbstständige Unternehmen in Venezuela selbst hervorbrachte… Aber in allererster Linie machten mir die soziale und politische Lage in Venezuela sowie die historischen Hintergründe des gebeutelten Landes Gedanken.

Mit dem Vorsteher der Inhaberfamilie Alberto Vollmer hat Santa Teresa aktuell einen CEO, der eloquent und smart den Weg des Traditionshauses in das gegenwärtig diktatorische System Venezuelas bei Tastings live skizziert und dabei zumindest nichts Offenkundiges ausspart. Seine Hacienda hat seit der Machtübernhame durch Hugo Chavez 1999 den Kopf nicht in den Sand gesteckt, im Gegenteil, nicht zuletzt bei sozialen Projekten wuchs das Unternehmen über sich und vieles andere im Land hinaus, was der Welt auch nicht verborgen blieb. Lest selbst, hierhier und hier oder lauscht Vollmers eigenen Worten hier bei einem TedX Vortrag.

Diese Ausmaße bewegen offensichtlich, versetzen jedoch auch alle Beteiligten im selben Atemzug auf Messers Scheide. Ist man ein venezolanischer Anker der Menschlichkeit und die Brücke zur internationalen Gemeinschaft oder doch diabolischer Botschafter eines überaus diskutablen Systems? Das zu entscheiden obliegt nicht mir. Ich weiß jedoch so viel: Die Augen zu verschließen, hilft in den seltensten Fällen. Wenn der Weg zu einer kritischen Auseinandersetzung mit fragwürdigen Zuständen über einen exzellenten Santa Teresa Rum Old Fashioned und eine filmreife mittelamerikanische-Knastis-machen-Sport-Story führt, soll es mir recht sein. Denn dann hat der hochprozentige Geist nicht nur Lichter ausgeknipst, sondern auch hier und da ein neues Feuer entfacht.

Anders gesagt: Bei Tastings der Industrie (das gilt übrigens noch mehr für Pressemitteilungen) wünsche ich mir seit Jahren deutlich mehr Mut zu Authentizität. Spirituosen sind wirtschaftlich gesehen sicherlich strahlende Lifestylebrands und können auf dieser Ebene hervorragend und rundum positiv von glitzernden Instagram- und jauchzenden YouTube-Influencern beworben werden. Für mich sind Spirituosen jedoch mindestens im selben Maße Kulturgüter, damit engmaschig verwoben mit geographischen, historischen, sozialen, ökologischen und oft sogar politischen Gegebenheiten. Wer die damit eventuell einhergehenden Kehrseiten krampfhaft ausblendet, beraubt jedwede Marke um einen wesentlichen Teil ihres Wertes und Konsumenten nicht selten um ihre Faszination, die sie sich insbesondere von hochwertigen Produkten erhoffen.

Steffen Hubert

Steffen Johann Hubert ist ehemaliger Mixology Magazin Autor und Bar Convent Berlin Mitarbeiter, für die bekannte Messe war er u.a. als Speaker und Moderator aktiv. Ab 2012 stand er für fast fünf Jahre im Dienste des Hamburger Spirituosenhauses Borco. Heute verdient er seine Brötchen abseits den Hinterzimmern der Spirituosenindustrie, was es ihm ermöglicht, seinen Erfahrungsschatz wieder als Autor einzubringen, natürlich auf trinklaune.de

Moët & Chandon Grand Vintage 2009
Caribbean Smash

1 Kommentar

  1. Victor

    Lieber Steffen,

    vielen Dank für Deinen Besuch unseres Tastings in Frankfurt und Deinen Kommentar. Wir freuen uns, dass Dir die Veranstaltung gefallen hat!

    Persönlich gefällt mir an Albertos Ausführungen und vor allem auch den Diskussionen dazu, dass es eben nicht alles in schwarz/weiß dargestellt wird, was wie von Dir hervorgehoben, ja einen großen Teil der Authentizität in der Kommunikation ausmacht. That being said: Wir beantworten Dir gerne jegliche Frage, die uns zumindest vom „diabolischen Botschafter“ distanziert ;). Auch bei einer Zuckermeßung unterstützen wir Euch gerne (ist ja durchaus auch schon auf der einen anderen unabhängigen Webseite/Messung bestätigt worden).

    Wir freuen uns weiterhin über einen offenen Dialog und stehen Dir und Deinen Lesern bei Fragen gerne jeder Zeit zur Verfügung!

    Viele Grüße,

    Victor

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