Weithin akzeptierte Wahrheiten ziehen diejenigen, die sie aufbrechen wollen, geradezu magisch an. Die Enfant Terrible. Die Disruptor. Das gilt auch für die Getränkewelt. Etablierte Prozesse wollen über den Haufen geworfen werden; sei es durch back to the roots, sei es als Flucht in die Avantgarde, oft durch beides gleichzeitig.
Orange Wine ist so eine Bewegung. Mezcal jedenfalls für den westlichen Gaumen. Kann Clairin enfant terrible der Rumbewegung sein? Über die neue 20g/l Zuckergrenze muss sich Clairin wohl keine Gedanken machen. Über Anschlussfähigkeit an den Mainstream schon eher. Aber ist das überhaupt gewollt?
Clairin hat viel Kraft. Will anecken. Und authentisch sein. Und macht sich dadurch transparent bis auf die verwendete Sorte Zuckerrohr. Sajous, Vaval und Casimir lautet das Trio Infernale. Nun bringt Kirsch Whisky zwei neue ungelagerte Vertreter auf den deutschen Markt – Sonson und La Rocher.
Clairin Sonson hat schon einige Blogger-Kollegen umgetrieben (siehe hier, hier und hier). Daher seien die harten Fakten nur kurz erwähnt: 53,2%, von Stephan Kalil Saoud in Cabaret, nördlich von Port Au Prince im Arcahaie-Gebiet destilliert. Die Zuckerrohrsorte nennt sich „Madame Meuze“ eine auf Haiti autochthone Variante. Spontangärung mit wilden Hefen über mindestens 120 Stunden. Unverdünnt.
Sonson ist noch extremer als die Varianten des Clairin, die wir bisher verkostet haben. Der Duft überreifer Erdbeeren, Tomatengrün, Schale roher Kartoffeln, frisches Gras und Erde. Am Gaumen noch mehr Gras. Ist das schon Terroir oder schlägt die Spontanvergärung dem Gaumen hier etwa ein Schnippchen? Frische Kräuter ebenso. Etwas Banane und laktische Aromen. Weißer Pfeffer im Abgang. Wild, viel Kraft, aber weit weg vom klassischen Rumgeschmack.
Clairin zu vermixen fällt nicht schwer. Ti Punches, Smashes, Daiquiris, Negronis, sie alle profitieren von der Power des Clairin. Sogar ein Martini soll funktionieren, wahlweise mit Dry Vermouth oder White Vermouth.
Aber auch Cocktail Haute Cuisine? Funktioniert der Charakterkopf Clairin auch als Teamplayer? Ein solches Rezept haben wir in der Mixology gefunden – den Hispanola Buccaneer aus dem Beckett’s Kopf. An dessen aberwitziger Zutatenliste konnten wir einfach nicht vorbeigehen.
Das Original verwendet Sajous. Aber auch bei einigen anderen Zutaten mussten wir variieren – unter anderem weil niemand von uns gerade in Töplitz vorbeischauen konnte, um den sicherlich ganz hervorragenden Verjus des Klosterhofs vor Ort zu erwerben.
Hispanola Buccaneer (Variante)
- 3cl Clairin (Sonson)
- 2cl PX Sherry (El Candado)
- 1,5cl Kaffeegeist (anonyme Destillerie)
- 1,3cl Verjus (Weingut Tement Apero)
- 1 dash Fee Brothers Whiskey Barrel Aged Bitters
- Dirker Muskateller-Salbei-Geist-Spray
Auf Eiswürfeln rühren, in eine vorgekühlte Cocktailschale abseien. Salbeigeist darauf sprühen.
Der Hispanola Buccaneer ist würzig, erdig, mit einer feinen, aber nie klebrigen, Rosinensüße durch den PX. Diese bindet den Clairin und den Kaffeegeist großartig ein. Und kitzelt die Aromen des Clairin, das würzige, das Zuckerrohr-Terroir, heraus. Haltet uns für verrückt, aber das ist ein fantastischer Cocktail, den wir so noch nicht getrunken haben. Und den wir, wenn wir ehrlich sind, auch ohne kreative Cocktailbars wie das Beckett’s Kopf so nicht trinken könnten. Denn – ganz ehrlich – wer hat schon Salbeigeist zuhause?
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