Schaumwein aus England genießt mittlerweile einen ziemlich guten Ruf. Die Böden kommen denen der Champagne sehr nah, der Klimawandel sorgt dafür, dass die nördliche Lage mittlerweile genau die Reife hervorbringt, die exzellente Schaumweine brauchen. Es werden vor allem Pinot Noir, Pinot Meunier und Chardonnay angebaut, die Rebfläche wächst mit hoher Geschwindigkeit. (Quelle und Weiterführendes: Falstaff).
Nyetimber kann sicherlich als der Vorreiter gesehen werden, mittlerweile mit Vintage-Cuvées im Programm, die an der 200€-Marke kratzen. Doch es gibt viele Güter, die sehr gelungene sparklings produzieren.
Wir haben die englischen Schaumweine bei Trinklaune bisher außer Acht gelassen. Daher ist es an der Zeit, dies zu ändern. Wir haben uns deshalb bei einem der größeren, renommierten Erzeuger, Gusbourne, eine Flasche Brut Reserve aus dem Jahr 2016 gekauft.
Mit 40 % Chardonnay, 33 % Pinot Meunier und 27 % Pinot Noir ist das erstmal wie eine klassische Champagnercuvée aufgebaut. Natürlich handelt es sich um flaschenvergorene Schaumweine, die Dosage liegt bei 9 Gramm / Liter. Mindestens 36 Monate liegt der sparkling auf der Hefe, die Malo findet statt. Preis: ca. 50 €. Wer gern Champagner trinkt und sich nur einen Hauch mit den klassischen Fakten auskennt, kann hier nur müde abwinken: Kennt man alles, wenngleich die hohe Dosage etwas anachronistisch und wenig modern wirkt. Oben drauf gibt’s noch eine schöne Flasche, hochwertig gemacht. Gehört ja dazu.

Gusbourne Brut Reserve 2016
40 % Chardonnay, 33 % Pinot Meunier, 27 % Pinot Noir; 9 gr. / L
Nase:
Kalk und Kreide, dahinter eine gute Portion Frucht aus dem roten bis dunklen Spektrum: Himbeeren und Himbeerkerne, dunkle Trauben. Ergänzt wird das Ganze um Hefe und klassische Brioche-Noten.
Gaumen:
Knackiger und frischer Charakter, saftige Zitrusscheiben, wieder ganze Himbeeren, aber ohne in eine zu „rot-kitschige“ Fruchtrichtung abzugleiten. Ein wenig duftiger Biskuit, frisch aus dem Ofen und Haselnusscrumble. Die Kohlensäure hat man schon feiner getrunken, richtig störend ist das aber nicht. Eine wirklich gute Säurestruktur trägt den Wein, die hohe Dosage wirkt sich kein Stück negativ aus, der Wein ist in Balance.
Das ist zweifelsohne eine ganz klare Champagnerstilistik – und das kommt nicht überraschend, da die ganzen Voraussetzungen sehr ähnlich sind, ähnlicher als sonst wo. In einer Blindverkostung wird dieser Schaumwein kaum als Pirat erkannt werden, vermute ich. Und ohne Zweifel handelt es sich wirklich um einen sehr gelungenen sparkling, vom dem ich sofort ein zweites Glas nähme, würde es mir angeboten.
Aber am Ende frage ich mich: Wieso? Wieso sollte man Gusbourne Brut Reserve kaufen? Das ist ein sehr gelungener Schaumwein, für dessen Kauf doch am Ende nichts spricht. Für 50 € spielt er preislich noch über der Kategorie der Basisweine der sehr guten Häuser (wie Bollinger, Charles Heidsieck oder Pol Roger) und in derselben finanziellen Liga wie der Mittelbau wirklich guter Winzerchampagner (wie Marguet, Lahaye, Tarlant…), von den gehypten Stars einmal abgesehen. Fürs Geld bekomme ich mehr in der Champagne.
Und auch abgesehen vom monetären Aspekt ist das am Ende eine wirklich gut gemachte Kopie des prestigeträchtigen Originals. Nicht eigenständig. Mit weniger Geschichte, mit weniger Renommee, was einige Champagnertrinker sicher auch suchen. Keine Tradition von Premiers oder Grand Crus, keine gewachsene Erfahrung der verschiedenen Rebsorten an verschiedenen Orten.
Vielleicht sorgt der Klimawandel perspektivisch dafür, dass es auch in der Champagne schwieriger wird, die Trauben so zu lesen, wie sie für die besten Schaumweine der Welt gebraucht werden. Kippt in diesem Kontext dann noch der Golfstrom, könnte England die echte Alternative sein, um Schaumweine in Champagne-Stilistik zu bekommen. Sollte die Menschheit das Glück haben, dies noch zu verhindern, bleibe ich aller Qualität eines Gusbourne Brut Reserve zum Trotz getrost beim Original. Aus der Champagne.
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