Gin im Jahr 2023. Wilder Mind Dry Gin.

Die Flasche aus dunklem, grünem Glas liegt schwer in der Hand. Das Etikett ist schlicht und ein wenig rau, die Farbgebung zurückhaltend. Wilder Mind, der rastlose Geist. So heißt der Gin, der sich in der Flasche befindet. Und die Flasche spiegelt bereits wider, was diesen Gin ausmacht. Sie hat Struktur und Charakter. Liegt gut in der Hand. Ist hochwertig und ansprechend. Und biedert sich nicht an.

Paul Brusdeilins, Destillateurmeister und früher verantwortlich bei Gin Sul, hat sich mit seiner Partnerin Katharina Ulrich seinen Traum vom eigenen Gin erfüllt. Der Weg dorthin war lang, aber das Ergebnis überzeugt. Destilliert wird auf einer Kupferanlage in Ostholstein, 15 Botanicals haben Eingang gefunden. Im Mazerat sind das neben dem obligatorischen Wacholder u.a. Galgant, Salbei, Lavendel, getrocknete Pomeranzen- und Zitronenschalen, Zeder und Timutpfeffer. Über einen Geistkorb geben frische Zitronen- und Grapefruitzesten ihre Aromen ab. Eine Kältefiltration findet nicht statt, um die Dichte der Aromen zu erhalten. 

Ein undogmatischer, weltoffener Ansatz, immer einem klaren Qualitätsstreben folgend, zeichnet Wilder Mind Gin aus. Beste Zutaten werden mit viel Wissen gebrannt. Nach einer Ruhephase zur Harmonisierung wird der Gin mit Alkohol und Wasser auf 42 % Vol. verdünnt und ist abfüllbereit. Und die Suche nach dem genau Richtigen für den eigenen Gin endet nicht an der Brennblase. Die Korken stammen aus einem kleinen Familienbetrieb in Portugal, das Etikett wird in einer Druckerei in Schleswig-Holstein auf hochwertigem Baumwollpapier gedruckt. Hier wurde bis ans Ende gedacht und die 700-ml-Flasche ist eine willkommene Abwechslung in einer Welt, in der Gin-Flaschen offenbar nur noch 500 ml fassen dürfen.

Wilder Mind Dry Gin

Wilder Mind Dry Gin

Nase:
Hohe Intensität in der Nase. Wacholder und Zitrusaromen in der ersten Reihe, dahinter kommt eine dunkel-würzige Dimension, die den Gin grundiert, erdet und mit Volumen versieht. Weiß man von der Zeder, riecht man sie. Etwas Harzig-Holziges springt aus dem Glas, potenziert durch die Aromatik der Zitrusschalen. Hier passiert viel.

Gaumen:
Dichte scheint ein Leitmotiv dieses Gins zu sein. Kräftiger Wacholder und duftige Zitrusaromatik – so weit, so klassisch. Dazu ein guter Griff in die Gewürzkiste, wärmend und dunkel. Die Grapefruit ist deutlich da, die Aromatik ist ausgewogen, intensiv und präsent.

Dichte und Intensität der Aromen prägen den Gin, dementsprechend war der Gedanke, dieser Konzentration zuzuarbeiten, die Leitlinie beim Vermixen. Wilder Mind ist ein klassischer Charakter, darum gibt’s ein klassisches Sour-Konzept mit verdichteter Zitrusaromatik. Dafür wird eine Mischung aus verschiedenen Zitrussäften kräftig einreduziert und mit den Aromen der Schalen verbunden. Abgekühlt lässt sich dieses Saftkonzentrat vermixen wie frischer Saft, bietet aber durch die Mischung verschiedener Früchte ein deutlich intensiveres Zitrusspektrum, ohne die Drinks zu verwässern.

Power Sour
6 cl Wilder Mind Gin
2,5 cl Zitrus-Reduktion*
1,5 cl Zuckersirup

Geschüttelt, auf Eis mit Zeste der Wahl serviert

*Zitrus-Reduktion
Zum Beispiel…
10 cl Mandarinensaft
10 cl Blutorangensaft
4 cl Zitronensaft
4 cl Bergamottensaft

Alles zusammen aufkochen und auf 10 cl reduzieren. Dann pro verwendeter Fruchtsorte (und / oder was noch so da ist, hier kann man auch mit Gewürzen eine weitere Komponente hinzufügen) eine Zeste hinzugeben, abkühlen und ziehen lassen. Nach ein bis zwei Stunden die Aromengeber entfernen. Sehr aromatische Zutaten (Bergamottenzeste oder Kaffirlimette) ggf. früher entfernen. Bei der Wahl der Zitrussorten kann man getrost variieren und der Saison folgen. Wichtig ist, nicht nur extrem saure Säfte zu verwenden, um die Balance zu erhalten. Gekühlt hält die Reduktion einige Zeit (nach zwei Wochen war sie ausgetrunken, aber immer noch gut).

Das Ergebnis ist ein Sour mit deutlich intensivierter Zitrusaromatik, ohne die Säure zu sehr zuzuspitzen. Ein Gewinn an Vielschichtigkeit bei klarer Erkennbarkeit des Sour-Charakters. Und der Wilder Mind kann hier groß aufspielen, denn die Vielschichtigkeit der Aromen kann sich voll entfalten.

Natürlich musste auch noch ein Klassiker herhalten. Meiner großen Liebe für Gimlets folgend habe ich einen Bergamot Gimlet gerührt. Auffällig ist hier einerseits das klassische Profil. Wacholder mit ordentlich Kante. Auf der anderen Seite sind die kräftigen, dunklen Noten von Holz, Leder und einer guten Handvoll Gewürze wieder sehr präsent und bilden ein stabiles Rückgrat zur verspielt-frischen Gimletcharakteristik. Die Bergamotte geizt nicht mit Aroma, die Kraft des Wilder Mind bildet hier einen guten Gegenpart.

Bergamot Gimlet

So darf Gin im Jahr 2023 sein. Ehrlich und klar, klassisch und zugänglich. Nicht noch ein Gin mit Glitzer oder der im Dunklen leuchtet, sondern eine zeitgemäße Interpretation eines aromatisch dichten, klassischen, wacholdergetriebenen Destillats. Herrlich.

 

 

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Torben Bornhöft

Torben Bornhöft beschäftigt sich seit 2004 leidenschaftlich mit Themen rund um Bar, Cocktails und Genuss. Nachhaltig geprägt durch fünf Jahre im Hamburger Le Lion und die Likörproduktion mit Forgotten Flavours liegt Torbens Fokus hier mittlerweile auf den Themen Champagner, Infusionen und Twists auf Klassiker.

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